4.3.4 Ermessen nach Artikel 12 (4) VOBK 2020
Dieser Abschnitt wurde aktualisiert, um die Rechtsprechung und Gesetzänderungen bis 31. Dezember 2023 zu berücksichtigen. Die vorherige Version dieses Abschnitts finden Sie in "Rechtsprechung der Beschwerdekammern", 10. Auflage (PDF). |
(i) Neues Vorbringen nicht zugelassen
In J 3/20 legte der Beschwerdeführer (Anmelder) mit der Beschwerdebegründung ein völlig neues Vorbringen hinsichtlich R. 139 EPÜ vor. Die Juristische Beschwerdekammer gelangte zu der Auffassung, dass dieses Vorbringen komplexe Rechts- und Sachfragen aufwerfen würde, die in der angefochtenen Entscheidung nicht behandelt worden seien und somit der Verfahrensökonomie zuwiderlaufen würden. Deshalb ließ die Juristische Beschwerdekammer dieses Vorbringen in Ausübung ihres Ermessens nicht für das Beschwerdeverfahren zu.
In T 652/20 erhob der Beschwerdeführer in seiner Beschwerdebegründung erstmalig einen Einwand mangelnder Neuheit gegenüber Beispiel 12 aus E3 und begründete ihn damit, dass ein bestimmtes Merkmal des erteilten Anspruchs 1 durch Chitin vorweggenommen würde (und nicht nur durch Fibroin, wie ursprünglich geltend gemacht). Die Kammer erklärte, dass diese neue Argumentation eine vollkommen neue Debatte über die Eigenschaften von Chitin eröffne und folglich nicht auf die Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung als solche eingehe, sondern lediglich auf deren Schlussfolgerung. Zudem hätte diese neue Debatte nach Auffassung der Kammer zu einer gewissen Komplexität geführt und somit im Widerspruch zur Verfahrensökonomie gestanden. Dementsprechend ließ sie die neue Argumentation und die entsprechenden Beweismittel nicht zum Beschwerdeverfahren zu.
(ii) Neues Vorbringen zugelassen
In der Sache T 3272/19 vom 11. Februar 2021 date: 2021-02-11 bestand D14, das mit der Beschwerdebegründung vorgelegt wurde, aus einer einzelnen Tabelle mit einer Liste von Molekulargewichten, die einem im operativen Anspruch 1 spezifizierten Merkmal entsprachen. Die Kammer stellte fest, dass D14 nicht nur leicht verständlich war, sondern auch ein Merkmal betraf, das für den Ausgang der angefochtenen Entscheidung wesentlich war. Die Kammer führte weiter aus, dass die auf D14 basierenden Argumente des Beschwerdeführers (Einsprechenden) dieselbe Angriffslinie stützten, die schon während des Einspruchsverfahrens verfolgt wurde. Die Kammer betonte, dass D14 zwar früher hätte eingereicht werden können (da das Merkmal, auf das sich die Liste bezog, bereits im erteilten Anspruch 1 enthalten war), jedoch bei der ersten sich bietenden Gelegenheit in Reaktion auf die angefochtene Entscheidung eingereicht wurde. In Anbetracht dieser Umstände wurde D14 gemäß Art. 12 (4) VOBK 2020 zugelassen.
Für weitere Beispiele, bei denen die Änderung nicht zu einem komplexen Gegenstand führte und zugelassen wurde, siehe z. B. T 1655/20 (Ex-parte-Verfahren, weitere Beschränkung des Anspruchs durch die Streichung von "insbesondere"), T 1617/20 (Inter-partes-Verfahren, Streichung eines Satzes in der Beschreibung) und T 1516/20 (Inter-partes-Verfahren, Einschränkung des Anspruchsgegenstands durch Streichung einer Variante).