5.1. Einleitung
Am 1. Januar 2020 trat die überarbeitete Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) in Kraft und – vorbehaltlich der Übergangsbestimmungen in Art. 25 VOBK 2020 – trat die zu diesem Zeitpunkt geltende Verfahrensordnung (VOBK 2007) außer Kraft (Art. 24 (1) und (2) VOBK 2020). Gemäß diesen Übergangsbestimmungen ist die VOBK 2020 grundsätzlich seit dem Inkrafttreten am 1. Januar 2020 auf alle Beschwerden anzuwenden, die an diesem Tag anhängig waren oder nach diesem Tag eingelegt wurden und werden (Art. 25 (1) VOBK 2020). Allerdings wurden in Art. 25 (2) und (3) VOBK 2020 Ausnahmen festgelegt.
Wie z. B. in T 2227/15 erläutert, ist Art. 25 (2) und (3) VOBK 2020 auf zwei enge Ausnahmen beschränkt, nämlich auf Bestimmungen über das Vorbringen der Beteiligten zu Beginn des Beschwerdeverfahrens, also in der ersten Stufe des Konvergenzansatzes (Anfangsphase), bzw. in einem vorgerückten Stadium des Beschwerdeverfahrens, also in der dritten Stufe des Konvergenzansatzes (Endphase) (zum Konvergenzansatz gemäß der VOBK 2020 und insbesondere den drei Stufen, siehe Kapitel V.A.4.1.2). Nur die Bestimmungen, die speziell die Anfangsphase und die Endphase regeln, wurden von der sofortigen Anwendung der VOBK 2020 ausgeschlossen, während das Zwischenstadium, also die zweite Stufe des Konvergenzansatzes (Art. 13 (1) VOBK 2020), der allgemeinen Regelung in Art. 25 (1) VOBK 2020 (die die sofortige Anwendbarkeit vorsieht) unterliegt.
Dementsprechend kamen und kommen die Bestimmungen zu neuem Vorbringen der VOBK 2007 weiterhin – wenn auch immer seltener – wie folgt zur Anwendung: In der Anfangsphase des Beschwerdeverfahrens ist nach Art. 25 (2) VOBK 2020 Art. 12 (4) bis (6) VOBK 2020 nicht anzuwenden auf vor dem Inkrafttreten eingereichte Beschwerdebegründungen und darauf fristgerecht eingereichte Erwiderungen. Stattdessen ist weiterhin Art. 12 (4) VOBK 2007 anzuwenden. In der Endphase des Beschwerdeverfahrens ist nach Art. 25 (3) VOBK 2020 Art. 13 (2) VOBK 2020 nicht anzuwenden, wenn die Ladung zur mündlichen Verhandlung oder eine Mitteilung nach R. 100 (2) EPÜ vor dem 1. Januar 2020 zugestellt wurde. Stattdessen ist in diesen Fällen weiterhin Art. 13 VOBK 2007 anzuwenden. Im Einzelnen zu den Übergangsbestimmungen und deren Auslegung durch die Kammern siehe die Kapitel V.A.4.3.2, V.A.4.4.2 und V.A.4.5.2.
Auch unter einem anderen Gesichtspunkt ist die frühere Rechtsprechung zu Art. 12 (4) und Art. 13 VOBK 2007 weiterhin von Interesse. Wie in den vorbereitenden Dokumenten und in der Rechtsprechung hervorgehoben, beruhen die überarbeiteten Vorschriften zu neuem Vorbringen teilweise auf der unter den Vorgängerbestimmungen entwickelten Rechtsprechung (s. zu Art. 12 (4) und (6) VOBK 2020 die Erläuterungen in CA/3/19, p. 36, 38, Zusatzpublikation 2, ABl. 2020; s. zu Art. 13 (1) VOBK 2020 z. B. T 634/16 und T 700/15, wonach Art. 13 (1) VOBK 2020 im Wesentlichen eine Kodifizierung der unter Art. 13 (1) VOBK 2007 entwickelten Rechtsprechung darstellt; s. auch V.A.4.5.2 b)). Dementsprechend verweisen die Kammern in Entscheidungen, in denen Bestimmungen der VOBK 2020 zur Anwendung kommen, auch auf Entscheidungen vor deren Inkrafttreten. Dies gilt erst recht, wenn Bestimmungen der VOBK 2020 (von redaktionellen Änderungen abgesehen) wortgleich sind mit der entsprechenden Bestimmung in der VOBK 2007 (s. z. B. T 1439/16 zu Art. 15 (3) und (6) VOBK 2020).
Vor diesem Hintergrund und weil Art. 12 und 13 VOBK 2007 aufgrund der Übergangsbestimmungen in einigen Fällen weiterhin Anwendung finden, wurden die Kapitel zu diesen Bestimmungen in der vorliegenden Auflage noch beibehalten. Grundsätzlich sind aber seit dem 1. Januar 2020 die Bestimmungen der VOBK 2020 anwendbar. Die Rechtsprechung dazu wird in Kapitel V.A.4. "Neues Vorbringen im Beschwerdeverfahren – Rechtsprechung zur VOBK 2020" dargestellt.