3. Zulässigkeit
Overview
Nach Art. 24 (3) EPÜ ist eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nicht zulässig, wenn der Beteiligte Verfahrenshandlungen vorgenommen hat, obwohl er bereits den Ablehnungsgrund kannte. Ebenso wenig kann die Ablehnung mit der Staatsangehörigkeit der Mitglieder begründet werden. Darüber hinaus haben die Beschwerdekammern auch Ablehnungen als unzulässig zurückgewiesen, weil diese unbegründet oder eine bloße Wiederholung bereits zurückgewiesener Einwände waren.
- T 2440/16
Catchword:
Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit
- Zum notwendigen Inhalt einer dienstlichen Äußerung gemäß Artikel 3 (2) VOBK 2020 (Ziffer 1.4.3).
- Die Stellung eines Antrags und die Einlassung zur Sache sind Verfahrenshandlungen im Sinne von Artikel 24 (3) Satz 2 EPÜ (Ziffer 1.5.2).
- Ein Spruchkörper ist nicht generell verpflichtet, in der mündlichen Verhandlung Erklärungen oder Begründungen für die Auffassung der Kammer zu geben. Das Fehlen einer solchen Begründung rechtfertigt in der Regel nicht die Besorgnis der Befangenheit (Ziffer 2.3.1).
- Die Einleitung der durch ein Beratungsergebnis bedingten notwendigen weiteren Verfahrensschritte rechtfertigt nicht die Besorgnis der Befangenheit (Ziffer 2.3.2).
- R 12/22
Zusammenfassung
In R 12/22 machte die Antragstellerin in ihrem Antrag auf Überprüfung mehrere schwerwiegende Verfahrensmängel geltend, unter anderem, dass die kurzfristige Ersetzung des juristischen Mitglieds im vorliegenden Fall ihr Recht auf rechtliches Gehör unter folgenden Aspekten verletze: (a) mangels Möglichkeit, das Vorliegen der Voraussetzungen von Art. 24 EPÜ im Hinblick auf das neue Mitglied zu untersuchen, (b) wegen fehlender ausreichender Vorbereitungsmöglichkeit des umfangreichen Falles für das neue Mitglied, (c) wegen fehlender Möglichkeit der Stellungnahme der Antragstellerin zur kurzfristigen Ersetzung vor der mündlichen Verhandlung.
Zu (a) stellte die Große Beschwerdekammer (GBK) fest, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör auch das Recht umfassen kann, Informationen zu erhalten, um das Recht zu wahren, das neue Kammermitglied gegebenenfalls nach Art. 24 EPÜ abzulehnen. Das Vorbringen der Antragstellerin, sie hätte das Vorliegen der Voraussetzungen von Art. 24 EPÜ wegen der Kürze der Zeit nicht überprüfen können, überzeugte die GBK jedoch nicht, da die Antragstellerin diese Überprüfung in der mündlichen Verhandlung durch Fragen zu der Thematik an das betroffene Kammermitglied hätte nachholen können. Zudem hatte die Antragstellerin in ihrem Überprüfungsantrag auf keinen denkbaren Verstoß gegen Art. 24 EPÜ hingewiesen, so dass die GBK auch keinen derartigen Sachvortrag auf einen denkbaren Gehörsverstoß überprüfen konnte. Die Antragstellerin hatte zudem argumentiert, dass – auch wenn auf freiwilliger Basis eine Auskunft über ein Kammermitglied erteilt worden wäre – diese in der Kürze der Zeit nicht objektiv nachprüfbar gewesen wäre. Die GBK war von diesem Vortrag nicht überzeugt. Ein Auskunftsrecht bestand nach ihrer Auffassung nur über Umstände, die geeignet sein könnten, eine Ablehnung zu begründen, nicht aber über die Vorbereitung eines Mitglieds auf die mündliche Verhandlung in einem konkreten Fall, da dies mit seiner Unabhängigkeit nicht vereinbar wäre. Ferner müsse es zur Vermeidung der Verzögerung von Verfahren möglich sein, auch kurzfristig eine Kammer im Einklang mit Art. 2 VOBK umzubesetzen. Es reiche aus, dass den Beteiligten die Möglichkeit der Ablehnung eines Mitglieds nach Art. 24 (3) EPÜ wegen eines Ausschließungsgrundes oder wegen Besorgnis der Befangenheit zustehe.
Zu (b), stellte die GBK fest, dass aus dem Recht auf rechtliches Gehör kein Recht eines Beteiligten auf einen Nachweis folgt, dass ein Kammermitglied ausreichend vorbereitet ist, weder im Falle einer kurzfristigen Einwechslung noch generell. Denn die Ausübung eines solchen Rechts würde gegen die Unabhängigkeit des betroffenen Beschwerdekammermitglieds verstoßen. Insbesondere müsse das Mitglied seine Pflichten nach eigenem Gutdünken erledigen können. Die GBK stimmte der folgenden Passage aus R 5/19 zu: "bis zum Beweis des Gegenteils in einem konkreten Fall [kann] davon ausgegangen werden [...], dass Mitglieder von Beschwerdekammern generell ihre Amtspflichten korrekt ausüben [...]."
Auch hinsichtlich (c), d.h. der fehlenden Möglichkeit sich vor der mündlichen Verhandlung zur kurzfristigen Ersetzung zu äußern, sah die GBK keine Bedenken hinsichtlich der Wahrung des rechtlichen Gehörs in einer solchen Situation.
In der mündlichen Verhandlung vor der GBK, machte die Antragstellerin die kurzfristige Ersetzung des juristischen Mitglieds erstmals auch als Gehörsverstoß unter einem weiteren Gesichtspunkt, nämlich demjenigen eines Verstoßes gegen ein "Recht auf den gesetzlichen Richter" geltend. Die GBK stellte fest, dass ein solches Recht im EPÜ und den dieses ergänzenden Vorschriften, insbesondere denjenigen der VOBK, nicht geregelt ist. Art. 2 VOBK regelt Ausnahmen vom Geschäftsverteilungsplan, nämlich die Ersetzung von Mitgliedern bei Verhinderung an der Mitwirkung. Ähnlich wie im Fall des geltend gemachten Informationsrechts betreffend Art. 24 EPÜ hatte die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer ein Recht auf den gesetzlichen Richter nicht geltend gemacht. Sie hatte explizit lediglich die Kurzfristigkeit der Umbesetzung und die damit angeblich verbundene zu knappe Vorbereitungszeit für das neue Mitglied sowie das Fehlen einer Möglichkeit zur Stellungnahme zur Ersetzung vor der mündlichen Verhandlung beanstandet. Das Nichtvorliegen einer Ausnahme nach Art. 2 VOBK hatte die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung nicht geltend gemacht. Daher entschied die GBK, diesen neu geltend gemachten Gehörsverstoß durch Verletzung eines Rechts auf den gesetzlichen Richter als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.
- Sammlung 2023 “Abstracts of decisions”