5. Stützung durch die Beschreibung
Dieser Abschnitt wurde aktualisiert, um die Rechtsprechung und Gesetzänderungen bis 31. Dezember 2023 zu berücksichtigen. Die vorherige Version dieses Abschnitts finden Sie in "Rechtsprechung der Beschwerdekammern", 10. Auflage (PDF). |
In T 977/94 entschied die Kammer, wegen der grundlegenden Bedeutung der Beschreibung sei es unerlässlich, diese an die Ansprüche anzupassen, wenn diese vom Patentinhaber geändert würden. Die Erfindung könne nämlich nur insoweit beansprucht werden, als sie von der Beschreibung gestützt sei (Art. 84 Satz 2 EPÜ 1973), und zur Auslegung der Patentansprüche sei die Beschreibung heranzuziehen (Art. 69 EPÜ 1973). Daher müsse geprüft werden, ob die die beanspruchte Erfindung bildenden Elemente in der Beschreibung auch als solche beschrieben seien. S. auch T 300/04, T 1399/17.
In T 295/02 stellte die Kammer fest, dass eine Unstimmigkeit zwischen einem Anspruch und der vorläufigen Beschreibung kein triftiger Grund ist, die Anmeldung zurückzuweisen. Der Widerspruch rührte von einer Änderung der Ansprüche her, und der Anmelder war bereit, die Beschreibung an einen endgültigen Satz gewährbarer Ansprüche anzupassen.
In T 1808/06 erinnerte die Kammer daran, dass Offenbarungen in der Beschreibung und/oder in den Zeichnungen, die mit dem geänderten Gegenstand unvereinbar seien, in der Regel zu streichen seien, damit das Erfordernis von Art. 84 EPÜ erfüllt werde, wonach die Ansprüche von der Beschreibung gestützt werden müssen (s. auch T 1883/11, T 1252/11, T 237/16). Verweise auf Ausführungsformen, die durch die geänderten Ansprüche nicht mehr abgedeckt werden, seien zu streichen, sofern diese Ausführungsformen nicht vernünftigerweise als zweckmäßig für die Hervorhebung spezifischer Aspekte des geänderten Gegenstands erachtet werden könnten. In einem solchen Fall sei deutlich darauf hinzuweisen, dass eine Ausführungsform nicht durch die Ansprüche abgedeckt sei (s. auch T 987/16). Der Verweis auf Art. 69 (1) EPÜ sei keine angemessene Begründung für die weniger strikte Anpassung der Beschreibung und sei irreführend, weil er so habe verstanden werden können, als sei dieser Artikel direkt auf das Prüfungs- oder das Einspruchsverfahren anwendbar. Dies sei eindeutig nicht der Fall, denn Art. 69 (1) EPÜ beziehe sich auf den Schutzbereich (s. dieses Kapitel II.A.6.3.2). Nur in Fällen, in denen die Beseitigung von Unstimmigkeiten aus verfahrenstechnischen Gründen nicht möglich sei (z. B. Änderung der erteilten Fassung nicht möglich), könne Art. 69 (1) EPÜ – hilfsweise – zur Auslegung des beanspruchten Gegenstands herangezogen werden.
In T 1989/18 erklärte die Kammer, dass die Beschreibung weder zur Lösung eines Klarheitsproblems in einem Anspruch herangezogen werden noch ein Klarheitsproblem verursachen kann, wenn der Gegenstand als solcher im Anspruch klar definiert ist. Insbesondere wenn die Ansprüche als solche klar und durch die Beschreibung gestützt sind, wird ihre Klarheit nicht dadurch beeinträchtigt, dass die Beschreibung einen nicht beanspruchten Gegenstand enthält. In solchen Fällen bietet Art. 84 EPÜ keine Rechtsgrundlage für eine Zurückweisung. Für die Beurteilung der Klarheit ist Art. 69 EPÜ irrelevant, da er lediglich den Umfang des gewährten Schutzes betrifft. Nachdem kein Einwand mangelnder Einheitlichkeit nach Art. 82 EPÜ erhoben worden war, erschloss sich der Kammer nicht, wie R. 42 (1) c) EPÜ als Rechtsgrundlage dafür dienen könnte, vom Anmelder grundsätzlich eine Anpassung der Beschreibung an die Ansprüche in der zu erteilenden Fassung und eine Streichung derjenigen Passagen aus der Beschreibung zu verlangen, in denen nicht beanspruchte Ausführungsformen beschrieben sind. Mehrere Entscheidungen haben sich auf R. 48 (1) c) EPÜ als mögliche Rechtsgrundlage berufen, um eine Anpassung der Beschreibung an den beanspruchten Gegenstand zu fordern. Die Kammer vertrat jedoch unter Verweis auf den Wortlaut und die Entstehungsgeschichte der R. 48 (1) c) EPÜ die Auffassung, dass diese nicht als Rechtsgrundlage für die Zurückweisung einer Anmeldung, deren Beschreibung nicht an den Anspruchsgegenstand angepasst ist, dienen kann.
In T 1024/18 widersprach die Kammer der Entscheidung T 1989/18 und verwies darauf, dass das Erfordernis der Stützung durch die Beschreibung in der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern so ausgelegt wird, dass die gesamte Beschreibung mit sämtlichen den Erfordernissen des EPÜ genügenden Ansprüchen in Einklang stehen muss. Dass dies ständige Rechtsprechung ist, ergibt sich auch aus den Erläuterungen zu Art. 11 VOBK 2020, in denen auf den Fall eingegangen wird, in dem eine Zurückverweisung an das erstinstanzliche Organ zur Anpassung der Beschreibung weiterhin vorgesehen ist. Das Erfordernis des Art. 84 EPÜ, wonach die Ansprüche durch die Beschreibung gestützt sein müssen, schließt nach Auffassung der Kammer das Erfordernis ein, dass die Beschreibung nicht nur teilweise, sondern vollständig mit den Ansprüchen in Einklang stehen muss. Die Kammer bestätigte, dass die Beschreibung im Falle einer Änderung der Ansprüche soweit mit diesen in Einklang zu bringen ist, dass sie keine Informationen enthält, die für den Leser im Widerspruch zum Wortlaut der Ansprüche stehen. Ihrer Auffassung nach müssen daher Ausführungsformen der Erfindung, die mit dem Wortlaut der Ansprüche nicht in Einklang stehen, gestrichen werden oder für den Leser klar erkennbar sein, z. B. durch eine Umformulierung der betreffenden Passagen, aus der hervorgeht, dass diese Passagen nicht oder nicht mehr Bestandteil der Erfindung sind. Der Entscheidung T 1024/18 schlossen sich die Kammern in T 2378/13, T 2766/17, T 1968/18, T 2293/18, T 2685/19, T 3097/19, T 121/20, T 1516/20 an.
In T 1444/20 gab es nach Auffassung der Kammer keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Ansprüche des Hauptantrags als solche für einen Fachmann unklar wären. Zudem fand die Kammer, dass die in der Beschreibung unter der Überschrift "Besondere Ausführungsformen der Erfindung" enthaltenen anspruchsähnlichen Formulierungen nicht als Ansprüche missverstanden werden konnten, denn sie waren ganz offensichtlich Teil des Beschreibungstextes und auch nicht mit "Ansprüche" überschrieben. Somit gab es keinen Grund, aus dem diese Formulierungen in der Beschreibung die Klarheit der Ansprüche beeinträchtigt hätten. Die Kammer betonte, dass Art. 84 EPÜ keinen Grund für die Streichung anspruchsähnlicher Formulierungen in der Beschreibung darstellt, wenn diese nicht zu mangelnder Klarheit der tatsächlichen Ansprüche führen. Nach Ansicht der Kammer bezog sich zudem der gesamte Abschnitt "Besondere Ausführungsformen der Erfindung" auf denselben Gegenstand wie die Ansprüche und bot somit eine zusätzliche Stützung der Ansprüche durch die Beschreibung, wie in Art. 84 EPÜ ebenfalls gefordert. Bezüglich einer Streichung dieses Abschnitts aus der Beschreibung als "redundant" folgte die Kammer der Entscheidung T 1989/18. Sie verneinte, dass R. 42 (1) c) und 48 (1) c) EPÜ eine Rechtsgrundlage für die Verpflichtung böten, die Beschreibung mit den Ansprüchen des Hauptantrags in Einklang zu bringen und diejenigen Passagen der Beschreibung zu streichen, in denen nicht beanspruchte Ausführungsformen offenbart sind. Bestätigung fand dies in T 1426/21.
Die Kammer in T 2194/19 vertrat die Auffassung, dass das Erfordernis, wonach die Ansprüche gemäß Art. 84 Satz 2 EPÜ durch die Beschreibung gestützt sein müssen, nicht zwangsläufig bedeutet, dass alle "Ausführungsformen" der Beschreibung einer Patentanmeldung durch die (unabhängigen) Ansprüche abgedeckt sein müssen. Auch verneinte sie, dass R. 42 (1) c) EPÜ als Rechtsgrundlage für die Formulierung eines so breiten Erfordernisses der Anpassung der Beschreibung an die Ansprüche dienen könne. Dem widersprach die Kammer in T 3097/19 und verwies darauf, dass Ausführungsformen, von denen behauptet wird, dass sie "die Erfindung ausführen", unter den Schutzumfang der Ansprüche fallen müssen.
In der Sache T 2391/18 befasste sich die Kammer mit einem vermeintlichen Widerspruch zwischen den Ansprüchen und der Beschreibung, der bereits in der erteilten Fassung vorhanden war. Da Art. 84 EPÜ kein Einspruchsgrund ist, befand die Kammer, dass die beantragte Änderung der Beschreibung jedoch nicht "durch einen Einspruchsgrund veranlasst" im Sinne der R. 80 EPÜ war. Ausgehend von den Erwägungen der Großen Beschwerdekammer in G 3/14 kam die Kammer außerdem zu dem Schluss, dass die Ansprüche des Patents nur auf die Erfordernisse des Art. 84 EPÜ geprüft werden können, sofern – und dann auch nur soweit – die Änderung einen Verstoß gegen Art. 84 EPÜ herbeiführt. Siehe auch T 1477/15, T 454/20.
Die Kammer in T 2178/17 stellte fest, dass die Einreichung einer Beschreibung, die an einen Anspruchssatz angepasst wurde, den eine Beschwerdekammer für den Erfordernissen des EPÜ entsprechend befunden hat, im Allgemeinen keine Änderung des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten darstelle, erst recht nicht, wenn die geänderte Beschreibung, wie im vorliegenden Fall, lediglich aus der Streichung der Verweise auf nicht mehr bestehende Ansprüche bestand. Ihre Zulassung im Verfahren unterlag daher nicht dem Ermessen der Kammer gemäß Art. 13 (2) VOBK 2020. Die Kammer in T 1968/18 hingegen war der Auffassung, dass die Einreichung einer angepassten Beschreibung in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer zu einer Änderung des Beschwerdevorbringens des Patentinhabers führe, befand aber gleichzeitig, dass die Anpassung der Beschreibung an die für gewährbar befundenen Ansprüche außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 13 (2) VOBK 2020 darstelle. Die Kammer entschied daher, die geänderte Beschreibung zuzulassen.
- T 447/22
Catchword:
1. On the limits of claim interpretation in the light of the description (see point 13 of the reasons). 2. In application of decision G 3/14, an objection under Article 84 EPC that a claim is not supported by the description is open to examination in opposition or opposition appeal proceedings only when, and then only to the extent that, the lack of support has been introduced by an amendment to the patent. It must thus be accepted that the removal of an inconsistency between the description and a claim amended in opposition or opposition appeal proceedings is not possible when the inconsistency previously existed in the patent as granted (see point 83 of the reasons).
- T 438/22
Catchword:
1. There is no provision stipulating that examples within the meaning of Rule 42(1)(e) EPC should not be in the form of claim-like clauses, i.e. in the form of one or more independent clauses followed by a number of clauses referring to previous clauses, at the end of or in another part of the description. There is no justification for deleting such examples just because they were drafted as claim-like clauses. They are to be treated like any other part of the description and thus, inter alia, must support the claims (Article 84 EPC). (Reasons 3.4 and 3.5) 2. It is a general and overarching objective, and as such also a "requirement" of the Convention, that authorities, courts and the public interpreting the claims at a later stage should, as far as possible, arrive at the same understanding of the claimed subject-matter as the EPO bodies deciding on the patentability of the same subject-matter. The only tool for achieving this objective is the patent specification as the expression of a unitary legal title. The description, as an integral part of the patent specification, should therefore also serve this overriding objective, i.e. it should provide a common understanding and interpretation of the claims. If the description contains subject-matter which manifestly impedes a common understanding, it is legitimate to insist on its removal under Articles 84 and 94(3) EPC and Rules 42, 48 and 71(1) EPC. (Reasons 5.5.3) 3. The board approves the practice where instead of a direct removal, i.e. the deletion of the subject-matter not covered by the claims, a "removal" by way of an appropriate statement is made, leaving the technical disclosure unaffected. (Reasons 5.7.2) 4. A referral to the Enlarged Board of Appeal whose sole purpose is to correct the Guidelines and which is not necessary either for ensuring a uniform case law within the boards or for the board's decision is not admissible. Such a referral could be perceived as an attempt to encroach on the President's powers under Article 10(2)(a) EPC. (Reasons 8.2.2)
- T 56/21
Zusammenfassung
In T 56/21 the board addressed the question whether Art. 84 EPC provides a legal basis for (i) objecting to an inconsistency between what is disclosed as the invention in the description (and/or drawings, if any) and the subject-matter of the claims, the inconsistency being that the description (or any drawing) contains subject-matter which is not claimed, and (ii) requiring removal of this inconsistency by way of amendment of the description (hereinafter: "adaptation of the description").
As the appeal concerned ex parte proceedings, the board dealt with the interpretation of Art. 84 EPC for the purpose of its application in examination proceedings. The board analysed the function and relationship of the claims and the description, the relationship between the assessment of patentability and the determination of the extent of protection as well as the requirements of support by the description and clarity in Art. 84 EPC.
On adaptation of the description, the board came to the following conclusions:
(a) Art. 84 and R. 43 EPC set forth requirements for the claims, not for the description.
(b) It is the purpose of the assessment of Art. 84 EPC as part of the examination of patentability to arrive at a definition of the patentable subject-matter in terms of distinctive technical features distinguishing it from the prior art.
(c) Art. 69(1) EPC and the Protocol on the Interpretation of Art. 69 EPC are not concerned with the definition of the subject-matter according to Art. 84, first sentence, EPC, or the assessment of patentability in examination before the EPO but with the extent of protection in the context of infringement proceedings in the contracting states. Art. 69 EPC and its Protocol are hence not applicable in grant proceedings before the EPO.
(d) The requirements of Art. 84 EPC and R. 43 EPC are to be assessed separately and independently of considerations of extent of protection when examining a patent application.
(e) In examination, future legal certainty is best served by a strict definitional approach which ensures that allowable claims per se provide an unambiguous definition of the subject-matter meeting the requirements for patentability.
(f) Adapting the description to match the more limited subject-matter claimed does not improve legal certainty but reduces the reservoir of technical information in the granted patent. This may have unwarranted consequences in post-grant proceedings and may encroach on the competence of national courts and legislators.
(g) R. 48 EPC is not concerned with the adaptation of the description, but with the avoidance of expressions which are contrary to public morality or public order, or certain disparaging or irrelevant statements in the publication of an application.
The board held that in examination of a patent application, neither Art. 84 nor R. 42, 43 and 48 EPC provide a legal basis for requiring that the description be adapted to match allowable claims of more limited subject-matter. Within the limits of Art. 123 EPC, an applicant may, however, amend the description of its own volition.
In the case at hand the description included a passage entitled "SPECIFIC EMBODIMENTS", which contained claim-like clauses. Those clauses included subject-matter which was not claimed. The board set aside the (refusal) decision under appeal and the case was remitted to the examining division with the order to grant a patent based on the main request on file.
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