4.2. Fallweise Beurteilung der Beweiskraft
In T 314/99, in der es um die öffentliche Zugänglichkeit einer Diplomarbeit ging, war die Kammer der Auffassung, diese Diplomarbeit sei nicht schon dadurch der Öffentlichkeit zugänglich gewesen, dass sie in das Archiv der Bibliothek des chemischen Instituts der Universität aufgenommen worden war. Was das als Beweismaterial angeführte "Logbuch" angehe, so handle es sich dabei um ein handschriftlich geführtes Notizbuch, in dem die Bibliothekare die im Archiv eingehenden Diplomarbeiten vermerken. Das Logbuch an sich stellte keine der Öffentlichkeit zugängliche Publikation dar, sondern ein internes Dokument für das Bibliothekspersonal. Nach eingehender Prüfung der Vermerke ins Logbuch entschied die Kammer, dass sich nicht mit Sicherheit feststellen lasse, ob die betreffenden Einträge tatsächlich vor dem fraglichen Prioritätstag vorgenommen wurden, und nicht ausgeschlossen werden könne, dass sie erst später – als der Zeitpunkt des Eintrags aus irgendeinem Grund Bedeutung erlangte – hinzugefügt wurden (s. auch den Fall einer angeblich im Rahmen eines mündlichen Vortrags offenbarten Diplomarbeit, T 1057/09; zum Wert eines handschriftlichen Vermerks eines Bibliothekars, s. T 915/12).
In T 91/98 stellte der Beschwerdegegner (Einsprechende) die erfinderische Tätigkeit infrage, und zwar auf der Grundlage der Entgegenhaltung (8), einem Eintrag in der LexisNexis-Datenbank. Er erbrachte aber keinen Beweis dafür, wann der Eintrag in die Datenbank aufgenommen und somit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden war. Ebenso wenig konnte das in der Kopfzeile des Eintrags genannte Datum (3. September 1985) als Tag der Zugänglichmachung gelten, weil es nicht unbedingt mit dem Veröffentlichungstag der Informationen übereinstimmen und noch nicht einmal richtig sein müsse. Nach gründlicher Prüfung der Erklärungen des Beschwerdegegners und der von ihm vorgelegten eidesstattlichen Erklärung gelangte die Kammer zu der Überzeugung, dass sich nicht zweifelsfrei ermitteln lasse, an welchem Tag die in der Entgegenhaltung (8) enthaltenen Informationen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden.
In T 2284/13 (Wayback-Maschine als Stand der Technik) akzeptierte die Kammer eine Kombination von D5, einer unvollständigen Archiv-Version einer Webseite (im Internet-Archiv "Wayback Machine" web.archive.org; öffentlich zugänglich 2004 mit nur kleinen Bildern) und D5', einem neueren Download (2009) der Webseite (mit Vollbildansicht), als Nachweis einer Vorveröffentlichung. Deshalb musste bei der Beurteilung der früheren Offenbarung von D5 die erweiterte Abbildung des "MRTT-Kraftstoffsystems" in D5' als Teil dieser Offenbarung mit berücksichtigt werden.
In T 1698/08 sah die Kammer keinen Grund, ihr Ermessen zur Ablehnung des Beweises auszuüben, weil dieser weder als irrelevant noch als unnötig bezeichnet werden konnte. Eine Ablehnung konnte in jedem Falle nicht auf Aussagen im Dokument zur Genauigkeit der darin enthaltenen Fakten begründet werden. Solche Aussagen betreffen die Beweiskraft eines Dokuments. Nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (G 3/97, ABl. 1999, 245, Nr. 5 der Gründe) kann die Kammer frei beurteilen, in welchem Umfang die Angaben in einem Dokument glaubwürdig sind; dabei kann eine solche Erklärung eine Rolle spielen. In der vorliegenden Sache ging es im Zusammenhang mit der umstrittenen Gültigkeit einer Vollmacht um einen unbeglaubigten (Internet-)Auszug aus einem Handelsregister.
Der Beschwerdegegner kann nicht einfach allgemein die mangelnde Zuverlässigkeit der digitalen Bibliothek Internet Archive (www.archive.org) geltend machen, um den Tag der Zugänglichmachung eines dort archivierten Dokuments infrage zu stellen (T 286/10, wo die allgemeine Beweisführung durch Abwägen der Wahrscheinlichkeit angewandt wurde; bestätigt in T 2227/11, T 1711/11, T 353/14, T 545/08, T 1066/13). S. auch Kapitel I.C.3.2.3 "Internet-Offenbarungen".
- T 3000/19
Catchword:
When a video retrieved from the internet is used as prior-art evidence for refusing a patent application, its content, in a form suitable for reviewing the decision, and metadata evidence demonstrating when and how it was made available to the public should be preserved and made accessible over time to interested parties and judicial bodies