1.2. Fortsetzung des Einspruchsverfahrens nach Erlöschen oder Verzicht (R. 84 (1) EPÜ)
Overview
Hat der Patentinhaber für alle benannten Vertragsstaaten auf das europäische Patent verzichtet oder ist das europäische Patent für alle diese Staaten erloschen, so kann das Einspruchsverfahren – laut R. 84 (1) EPÜ (R. 60 (1) EPÜ 1973) – auf Antrag des Einsprechenden fortgesetzt werden; der Antrag ist innerhalb von zwei Monaten nach dem Tag zu stellen, an dem ihm das EPA den Verzicht oder das Erlöschen mitgeteilt hat. R. 84 (1) EPÜ ist nur bei Erlöschen oder Verzicht während des Einspruchsverfahrens anwendbar. War das Patent bereits vor der Einlegung des Einspruchs erloschen, ist R. 75 EPÜ anzuwenden, wonach auch dann Einspruch eingelegt werden kann, wenn in allen benannten Vertragsstaaten auf das angefochtene Patent verzichtet worden ist oder das Patent in allen diesen Staaten erloschen ist (T 606/10).
R. 84 (1) EPÜ gilt gemäß Art. 111 (1) EPÜ und R. 100 (1) EPÜ auch im Einspruchsbeschwerdeverfahren (T 2165/08 vom 6. März 2013 date: 2013-03-06; T 702/15).
Erlischt das europäische Patent während des Beschwerdeverfahrens in allen Vertragsstaaten und beantragt der Beschwerdeführer (Einsprechende) nicht die Fortsetzung des Verfahrens, wird das Verfahren ohne Entscheidung in der Sache beendet (T 329/88, gefolgt von zahlreichen weiteren Entscheidungen einschließlich T 762/89, T 749/01, T 289/06, T 949/09, T 480/13 und T 977/14).
Durch R. 84 (1) EPÜ wird dem EPA keine rechtliche Verpflichtung auferlegt, sich von Amts wegen vom Rechtsstand eines europäischen Patents zu vergewissern, und sie kommt nicht zur Anwendung, wenn ein Verzicht auf das europäische Patent oder dessen Erlöschen geltend gemacht wird, ohne dass das EPA von den zuständigen Behörden aller benannten Vertragsstaaten eine Bestätigung über den Verzicht oder das Erlöschen erhalten hat (T 194/88, T 809/96, T 201/04). In einigen Ausnahmefällen wurde jedoch das Verfahren beendet, obwohl eine solche Bestätigung fehlte. In T 762/89 erklärte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin), dass das Patent durch Nichtbezahlung der nationalen Jahresgebühren in den benannten Vertragsstaaten (AT, BE, DE, FR, GB, IT, LU, NL und SE) erloschen sei. In einer Aufzeichnung des EPA war mit Ausnahme der Staaten IT und LU das Erlöschen des europäischen Patents für die genannten Vertragsstaaten für das Jahr 1990 festgestellt worden. Mit Schreiben vom 7. Januar 1992 hatte die Beschwerdegegnerin eine Bestätigung für das Erlöschen des Patents in Italien vorgelegt. Nachdem die Beschwerdegegnerin mehrmals ausdrücklich erklärt hatte, dass das Patent in allen benannten Vertragsstaaten erloschen sei, sah die Kammer keinen verfahrensökonomisch vertretbaren Grund, sich von der Beschwerdegegnerin auch für das Erlöschen des Patents in Luxemburg Beweise vorlegen zu lassen. In T 607/00 akzeptierte die Kammer die – vom Beschwerdeführer nicht infrage gestellte – Erklärung des Beschwerdegegners, dass das Patent in Italien erloschen sei.
Bezweifelt der Beschwerdeführer (Einsprechende) jedoch, dass das Patent – wie vom Beschwerdegegner (Patentinhaber) behauptet – erloschen ist bzw. dass darauf verzichtet wurde, so muss das Erlöschen beim EPA eingetragen oder eindeutig bewiesen werden. Andernfalls ist die R. 60 (1) EPÜ 1973 nicht erfüllt, und das Beschwerdeverfahren wird fortgesetzt (T 194/88, T 682/91, T 833/94, T 201/04).