4.3.7 Vorbringen, das im erstinstanzlichen Verfahren vorzubringen gewesen wäre oder dort nicht mehr aufrechterhalten wurde – Artikel 12 (6) Satz 2 VOBK 2020
Dieser Abschnitt wurde aktualisiert, um die Rechtsprechung und Gesetzänderungen bis 31. Dezember 2023 zu berücksichtigen. Die vorherige Version dieses Abschnitts finden Sie in "Rechtsprechung der Beschwerdekammern", 10. Auflage (PDF). |
In mehreren Fällen entschieden die Kammern, Vorbringen nicht zuzulassen, das im Einspruchsverfahren erhobene Einwände behandelte, weil der Patentinhaber ausreichend Gelegenheiten gehabt hatte, auf diese einzugehen (s. die nachstehend zusammengefassten T 825/20 und T 1326/21 sowie die in vorstehendem Kapitel V.A.4.3.7 d) zusammengefasste T 847/20). Siehe aber auch die Entscheidungen in Abschnitt V.A.4.3.7 c) und insbesondere T 141/20, in der die Kammer hervorhob, dass es nicht nur einer Möglichkeit, sondern auch eines Anlasses bedarf, Hilfsanträge einzureichen. Im zu entscheidenden Fall bestand nach Ansicht der Kammer keine Notwendigkeit, den betreffenden Antrag einzureichen, da die Einspruchsabteilung deutlich gemacht hatte, dass sie dem von den Einsprechenden vorgebrachten Einwand nicht folgt.
In T 825/20 zielten die erstmals mit der Beschwerdebegründung eingereichten vier Hilfsanträge darauf ab, den von der Einspruchsabteilung gegen den Hauptantrag erhobenen Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit zu entkräften. Die Einspruchsabteilung hatte die Beteiligten jedoch bereits in ihrer vorläufigen Einschätzung auf diesen Punkt aufmerksam gemacht und dem Beschwerdeführer Gelegenheit zur Erwiderung gegeben, die dieser ergriffen und mehrere neue Hilfsanträge eingereicht hatte, die sich jedoch von denen im Beschwerdeverfahren unterschieden. Die Kammer kam zu dem Ergebnis, dass auch Letztere bereits im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren hätten eingereicht werden können und müssen. Ein Gegenbeispiel liefert T 487/20: Hier war der Patentinhaber nach Auffassung der Kammer in der mündlichen Verhandlung nicht zur sofortigen Reaktion verpflichtet. Die Einspruchsabteilung hatte die Einwände des Einsprechenden nach Art. 100 c) EPÜ in ihrer vorläufigen Einschätzung als nicht überzeugend beurteilt; die Argumente, auf die der mit der Beschwerdebegründung eingereichte Hilfsantrag II einging, waren in der mündlichen Verhandlung nur kurz diskutiert worden.
In T 1326/21 erklärte der Beschwerdeführer (Patentinhaber), dass er seinen Hauptantrag im Beschwerdeverfahren, der bloß zwei der drei in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung erörterten Einwände nach Art. 100 c) EPÜ adressierte, zum damaligen Zeitpunkt nicht einreichen konnte, weil die Einspruchsabteilung zu dem Ergebnis gelangt war, dass alle drei Einwände gerechtfertigt waren, und einen solchen Antrag nicht zugelassen hätte. Die Kammer verwies jedoch darauf, dass die betreffenden Einwände bereits in der Einspruchsschrift geltend gemacht und begründet worden waren. Zudem hatte die Einspruchsabteilung in der Anlage zur Ladung eine vorläufige Einschätzung zu allen Einwänden abgegeben hatte. Somit hatte der Beschwerdeführer ausreichend Gelegenheit gehabt, Anträge einzureichen und auf die betreffenden Einwände einzugehen. Der Patentinhaber hatte also im Einspruchsverfahren auf die Einreichung von Änderungen, die die Einwände nach Art. 100 c) EPÜ entkräftet hätten, bewusst verzichtet und hatte lediglich mit Argumenten darauf reagiert.