4. Besorgnis der Befangenheit von Mitgliedern der erstinstanzlichen Organe
Die Große Beschwerdekammer entschied in G 5/91 (ABl. 1992, 617), dass die Praxis, wonach über einen gegen ein erstinstanzliches Organ erhobenen Befangenheitsvorwurf der Direktor der für dieses Organ zuständigen Direktion entscheidet, nicht als unrechtmäßig angesehen werden kann, da die erstinstanzlichen Organe wegen ihres Verwaltungscharakters gemäß Art. 10 (2) a) EPÜ den internen Vorschriften des Präsidenten unterliegen (s. auch T 2509/11 und T 71/99). Die Große Beschwerdekammer erklärte, dass es im EPÜ keine Rechtsgrundlage für eine gesonderte Beschwerde gegen die Entscheidung eines Direktors gibt, mit der ein Befangenheitseinwand gegen ein Mitglied eines erstinstanzlichen Organs wie der Einspruchsabteilung zurückgewiesen wird. Die Zusammensetzung der Einspruchsabteilung kann jedoch im Wege einer Beschwerde gegen ihre Endentscheidung oder gegen eine Zwischenentscheidung, angefochten werden. Erfüllen nicht alle Mitglieder einer Abteilung das Erfordernis der Unparteilichkeit, so ist bei der Besetzung der Abteilung ein Verfahrensfehler begangen worden, der die Entscheidung in der Regel nichtig macht. Die Große Beschwerdekammer stellte klar, dass es eindeutig in die Zuständigkeit der Beschwerdekammern fällt, zu entscheiden, ob diese Anforderung erfüllt worden ist. Dies lässt sich auch in der Praxis beobachten (s. z. B. T 251/88, T 939/91, T 382/92, T 476/95, T 838/02, T 1349/10, T 568/17). Diese Prüfung kann die Kammer von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten am Beschwerdeverfahren vornehmen.
Die Kammer in T 479/04 befand, dass G 5/91 einer Einspruchsabteilung nicht verbietet, über den gegen sie erhobenen Vorwurf der Parteilichkeit selbst zu entscheiden. Aus G 5/91 kann aber nicht abgeleitet werden, dass es verboten ist, diese Verfahrensfrage zusammen mit der Entscheidung in der Sache zu entscheiden. Daher kam die Kammer zu dem Schluss, dass die Einspruchsabteilung keinen Verfahrensfehler begangen hat, als sie in der angefochtenen Entscheidung selbst über den gegen sie erhobenen Vorwurf ihrer Parteilichkeit entschieden hat (s. auch T 1647/15).
In T 2475/17 wies die Kammer darauf hin, dass die Kammern mehrmals festgestellt haben, dass das EPÜ keine Rechtsgrundlage bietet, die es den Kammern erlauben würde, sich an die Stelle der Amtsleitung zu setzen und eine Änderung der Zusammensetzung des erstinstanzlichen Entscheidungsorgans anzuordnen. Da die Zusammensetzung des erstinstanzlichen Organs dem Präsidenten des Amts bzw. seinen Vertretern und nicht dem Organ selbst obliegt, kann Art. 111 (1) EPÜ ein solches Vorgehen nicht rechtfertigen. Nach Ansicht der Kammer ist eine Kammer in Fällen, in denen die Kammer eine Verletzung des rechtlichen Gehörs festgestellt hatte, aber nur dann befugt, eine Änderung der Zusammensetzung anzuordnen, wenn sie zum Schluss gelangt, dass die Zusammensetzung des erstinstanzlichen Organs die eigentliche Ursache für die Verletzung des rechtlichen Gehörs darstellt und die Verletzung des rechtlichen Gehörs nur durch eine Änderung der Zusammensetzung geheilt werden kann, also insbesondere in dem Fall, in dem die berechtigte Besorgnis besteht, dass ein oder mehrere Mitglieder des erstinstanzlichen Organs befangen sind. Die Kammer merkte an, dass eine solche Anordnung der Kammer sich darauf beschränkt, dass die Zusammensetzung zu ändern ist, damit das Recht der Parteien auf ein faires und rechtmäßiges Verfahren gewährleistet werden kann. Der Umfang der Änderung bzw. welches Mitglied der Prüfungs- oder Einspruchsabteilung durch wen ersetzt wird, bleibt den dafür zuständigen Stellen überlassen.