3.1. Relevanz der Beweismittel
S. vorstehende Einführung mit den Verweisen auf T 329/02 und T 860/01.
Laut T 716/06 sollte die zuständige Abteilung des EPA dem Antrag eines Beteiligten auf Zeugenvernehmung nur stattgeben, wenn sie dessen Aussage für nötig hält, d. h. wenn diese erforderlich ist, um entscheidungserhebliche Tatsachen zu klären. In der Regel muss die zuständige Abteilung keinen Zeugen zu einer behaupteten Vorbenutzung anhören, wenn sie die vom Einsprechenden vorgebrachten Tatsachen und Argumente zur Stützung der behaupteten Vorbenutzung nicht anders bewertet. Die zuständige Abteilung des EPA muss dem Antrag eines Einsprechenden, einen Zeugen zu einer angeblichen öffentlichen Vorbenutzung und zur Offenbarung eines bestimmten Merkmals durch diese Vorbenutzung anzuhören, in der Regel stattgeben, bevor sie entscheidet, dass die angebliche öffentliche Vorbenutzung weder nachgewiesen ist noch einen neuheitsschädlichen Stand der Technik darstellt, weil das betreffende Merkmal dabei nicht offenbart wurde. In T 2003/08 vom 31. Oktober 2012 date: 2012-10-31 befand es die Kammer – anders als die Einspruchsabteilung – für angemessen, die Zeugen zu vernehmen, weil deren Aussage Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens haben könnte.
In T 246/17 hatte die Einspruchsabteilung es abgelehnt, die im Zusammenhang mit einer Vorbenutzung angebotenen Zeugen zu hören, und die offenkundige Vorbenutzung als durch die Beweisunterlagen hinreichend erwiesen angesehen. Nach Auffassung der Kammer war jedoch nicht auszuschließen, dass eine – zusätzlich zur Auswertung der Beweisunterlagen durchgeführte – Zeugenvernehmung zu einer anderen Beurteilung der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit und somit zu einem anderen Ergebnis geführt hätte. Die Offenbarungen in den Dokumenten O1 (Handbuch) und O2 (Broschüre) ließen nämlich offen, ob das beschriebene Instrument bestimmte Merkmale aufwies. Da das Instrument aber tatsächlich hergestellt und verkauft worden war, hätte es selbst – anders als die Dokumente O1 (Handbuch) und O2 (Broschüre) – diese Merkmale offenbaren können, was sich bei einer Zeugenvernehmung hätte feststellen lassen. Die Kammer sah darin einen wesentlichen Verfahrensmangel, der eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung rechtfertigte (s. z. B. T 716/06, T 1363/14 und T 314/18).
In T 1100/07 (angebliche Vorbenutzung, Verkauf eines Fahrzeugs mit einem bestimmten Merkmal) hatte die erste Instanz die Vernehmung von zwei Zeugen abgelehnt. Die Kammer befand, dass die erste Instanz einen der vorgeschlagenen Zeugen zu Recht abgelehnt hatte, weil dieser lediglich seine schriftliche Erklärung zum Inhalt von Dokumenten hätte bestätigen können, die aussagekräftig genug waren, sodass seine Vernehmung keinen Einfluss auf die endgültige Entscheidung gehabt hätte. Dagegen entschied die Kammer, dass die Einspruchsabteilung die Vernehmung des zweiten Zeugen, Herrn F., hätte anordnen müssen. Zwar sei der Antrag auf Vernehmung spät gestellt worden, und die Vernehmung hätte die Anberaumung einer neuen mündlichen Verhandlung erforderlich gemacht. Da für die Entscheidung der Einspruchsabteilung aber maßgeblich war, dass das Vorliegen eines einzigen technischen Merkmals nicht belegt werden konnte, hätte Herr F. vernommen werden müssen, war doch vorgebracht worden, dass Herr F. in der Lage gewesen wäre, das Vorliegen dieses Merkmals nachzuweisen. Die Entscheidung, Herrn F. nicht zu vernehmen, war falsch und hat den Ausgang des Verfahrens unter Umständen beeinflusst.
In T 273/16 hatte der Beschwerdeführer (Einsprechende) während des Einspruchsverfahrens mehrfach die Vernehmung von zwei Zeugen zur behaupteten Vorbenutzung einer gewerblichen Geschirrspülmaschine gefordert. Die Einspruchsabteilung entschied, die Zeugen nicht zu laden. Für die Entscheidung der Einspruchsabteilung schien dabei maßgeblich gewesen zu sein, dass die Fertigung bzw. der Verkauf dieser Geschirrspülmaschine nicht belegt worden war. Die beiden Zeugen waren aber vom Einsprechenden genau zu dieser Frage angeboten worden. Die Entscheidung, die Zeugen nicht zu vernehmen, war daher falsch und hat den Ausgang des Verfahrens unter Umständen beeinflusst.