11.6.10 Fehlbeurteilung durch die erste Instanz
Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist die falsche Auslegung einer Entgegenhaltung normalerweise eine Fehlbeurteilung und kein Rechtsfehler und stellt somit keinen Verfahrensmangel und schon gar keinen wesentlichen Verfahrensmangel dar (T 1031/12). In T 162/82, ABl. 1987, 533, stellte die Kammer fest, dass eine falsche Auslegung einer Entgegenhaltung nicht als Verfahrensverstoß gewertet werden könne (s. auch T 1049/92, T 976/11).
In T 367/91 befand die Kammer, dass eine Entscheidung, die ausschließlich auf einer falschen Beurteilung des Stands der Technik und/oder der beanspruchten Erfindung beruhe, zwar einen wesentlichen Irrtum enthalte, aber dass dies kein Verfahrensmangel sei (s. auch T 144/94, T 12/03, T 1340/10, T 997/15). In T 68/08 wies die Kammer darauf hin, dass eine falsche Beurteilung der beanspruchten Erfindung (oder des Stands der Technik) immer eine Sachfrage sei.
In T 17/97 war der Antrag des Beschwerdeführers auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr darauf gegründet, dass die Einspruchsabteilung ein Dokument nicht berücksichtigt hatte. Nach Auffassung der Kammer stellte eine Fehleinschätzung der Relevanz eines Dokuments naturgemäß kein Verfahrensmangel nach R. 67 EPÜ 1973 dar.
Die falsche Auslegung einer Entgegenhaltung stellt keinen Verfahrensmangel dar (T 1049/92, T 162/82, ABl. 1987, 533, T 1031/12). In T 588/92 wies die Beschwerdekammer darauf hin, dass eine abweichende Auffassung über die anzuwendenden Fachkenntnisse bei der Auslegung des technischen Inhalts der Erfindung ebenfalls keinen Verfahrensmangel darstellt.
In T 860/93 (ABl. 1995, 47) urteilte die Kammer, dass trotz einer groben Fehlbeurteilung der Prüfungsabteilung kein Verfahrensverstoß vorliege, der eine Voraussetzung für die Anwendung von R. 67 EPÜ 1973 sei.
In T 863/93 verwies die Kammer auf die ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern, nach der R. 67 EPÜ 1973 nur angewendet werden kann, wenn ein Verfahrensverstoß (im Gegensatz zu einer Fehlbeurteilung) vorliegt. Sie kam zu dem Schluss, dass die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage hinsichtlich des Fehlverständnisses von D1 eine Beurteilungssache war, die eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr nicht rechtfertigte.
In T 970/10 urteilte die Kammer, dass die unzutreffende Feststellung hinsichtlich des Tags, an dem ein Dokument der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, keinen das Verfahrensrecht betreffenden Irrtum nach Art. 54 (2) EPÜ darstellt, sondern einen Tatsachenirrtum.
In T 976/11 stimmte die Kammer nicht mit der Auffassung überein, dass die Änderung des nächstliegenden Stands der Technik an sich einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellen konnte. Sie wies darauf hin, dass es im Ermessen einer Prüfungsabteilung liege, ihren Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit, einschließlich der Wahl des nächstliegenden Stands der Technik, in jedem Verfahrensstadium – auch in der mündlichen Verhandlung – zu revidieren.
In T 658/12 befand die Kammer, dass eine ungenügend begründete Entscheidung von einer Entscheidung zu unterscheiden sei, deren Begründung fehlerhaft oder nicht überzeugend ist. Die Kammer schlussfolgerte, dass die möglicherweise falsche Anwendung des Comvik-Ansatzes im vorliegenden Fall ein wesentlicher Irrtum sei und somit nur eine Beurteilung vorliege. Daher entschied die Kammer, dass die Entscheidung im Sinne von R. 111 (2) EPÜ begründet war. Die Kammer stellte weiter fest, dass die Prüfungsabteilung nicht – wie vom Beschwerdeführer (Anmelder) behauptet – unangemessen gehandelt hatte, als sie den zweiten Hilfsantrag nicht zuließ. Nach Ansicht der Kammer gab es daher keinen Grund für die Rückzahlung der Beschwerdegebühr (s. auch T 690/06).
In T 680/89 stellte die Kammer fest, dass ein Verfahrensmangel auch nicht vorliegt bei der unrichtigen Feststellung in der Entscheidung der Prüfungsabteilung, Anspruch 1 sei nicht deutlich genug gefasst im Sinne von Art. 84 EPÜ 1973, sowie bei einer eventuellen Fehleinschätzung und dem Unterbleiben einer klärenden Rücksprache mit den Beteiligten. Die Kammer kam zu dem Schluss, dass kein Grund vorlag, eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach R. 67 EPÜ 1973 anzuordnen.