9. Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit
In T 595/90 (ABl. 1994, 695) ging es um die erfinderische Tätigkeit eines Erzeugnisses, das zwar als solches vorstellbar war, für das aber kein Herstellungsverfahren bekannt war. Die Kammer erklärte im Leitsatz, dass ein Erzeugnis, das als solches mit allen seine Identität ausmachenden Merkmalen einschließlich seiner Gebrauchseigenschaften vorstellbar ist und aufgrund dessen eine eigentlich naheliegende Sache darstellt, für erfinderisch befunden und damit als solches beansprucht werden kann, wenn es im Stand der Technik keinen bekannten Weg oder kein anwendbares (analoges) Verfahren zu seiner Herstellung gibt und diese Herstellung daher durch die beanspruchten Verfahren erstmals und überdies auf erfinderische Weise bewerkstelligt wird (s. auch T 268/98, T 803/01, T 441/02, T 1175/14).
In T 268/98 befand die Kammer, dass der Stand der Technik keine technischen Informationen dazu enthielt, wie die "Pinning-Zentren" nach Anspruch 1 zu erzeugen sind. Daher gab es im Stand der Technik, auch wenn das beanspruchte Erzeugnis als überaus wünschenswert gelten musste, kein naheliegendes Verfahren zu dessen Herstellung. Dem Durchschnittsfachmann war es also nicht möglich bzw. konnte es gar nicht möglich sein, zu dem beanspruchten Erzeugnis zu gelangen. Folglich befand die Kammer den Gegenstand des Anspruchs 1 für erfinderisch.
Die in T 233/93 beanspruchten Erzeugnisse zeichneten sich durch eine Kombination von Eigenschaften aus, die die Fachwelt als "Desideratum" zu verwirklichen suchte. Diese Eigenschaften galten jedoch als unvereinbar. Die Kammer entschied, dass ein solches Wunscherzeugnis, auch wenn es per se nahezuliegen scheine, dennoch als erfinderisch angesehen und damit als solches beansprucht werden könne, sofern es im Stand der Technik kein bekanntes Verfahren zu seiner Herstellung gibt und das beanspruchte Verfahren erstmals und zudem auf erfinderische Weise diese Herstellung ermögliche (T 1195/00).
In T 661/09 entschied die Kammer, dass die verbleibenden Merkmale des Anspruchs 1 lediglich verschiedene Desiderate waren, ohne dass ein Kausalzusammenhang zwischen den gewünschten Eigenschaften und der Beschaffenheit der beanspruchten Vorrichtung angegeben war. Da im Anspruch keine konkreten Maßnahmen definiert wurden, wie zu gewährleisten war, dass die beanspruchten Eigenschaften tatsächlich erzielt wurden, blieben diese auf einer abstrakten oder konzeptuellen Ebene. Die Frage der erfinderischen Tätigkeit lief letztlich darauf hinaus, ob der Fachmann angesichts des Stands der Technik und seines allgemeinen Fachwissens die beanspruchten Desiderate in naheliegender Weise in Betracht gezogen hätte. Die Kammer bejahte diese Frage und entschied, dass Anspruch 1 nicht erfinderisch war.
- Sammlung 2023 “Abstracts of decisions”