6. Mehrere Erfindungen – weitere Recherchengebühren
In Anbetracht der voneinander abweichenden Entscheidungen T 178/84 (ABl. 1989, 157) und T 87/88 (ABl. 1993, 430) befasste der Präsident des EPA die Große Beschwerdekammer mit folgender Frage:
"Kann ein Anmelder, der es bei einer uneinheitlichen Anmeldung unterlässt, auf eine Aufforderung der Recherchenabteilung nach R. 46 (1) EPÜ 1973 weitere Recherchengebühren zu entrichten, den Gegenstand, für den keine Recherchengebühren entrichtet wurden, in dieser Anmeldung weiterverfolgen, oder ist er gezwungen, für diesen Gegenstand eine Teilanmeldung einzureichen?"
Der von der Großen Beschwerdekammer in G 2/92 (ABl. 1993, 591) abgegebenen Stellungnahme zufolge kann die Anmeldung nicht für einen Gegenstand weiterverfolgt werden, für den der Anmelder keine weiteren Recherchengebühren entrichtet hat. Er muss vielmehr eine Teilanmeldung für diesen Gegenstand einreichen, wenn er dafür weiterhin Schutz begehrt. Nach Auffassung der Großen Beschwerdekammer geht aus dem Verfahrenssystem des EPÜ klar hervor, dass es sich bei der auf Patentierbarkeit zu prüfenden Erfindung um eine Erfindung handeln muss, für die vor Erstellung des europäischen Recherchenberichts eine Recherchengebühr entrichtet wurde. Teil IV des EPÜ sieht vor, dass die Anmeldung nach der Einreichung von der Recherchenabteilung an die Prüfungsabteilung weitergeleitet wird. R. 46 EPÜ 1973 sieht zur Durchführung dieses Verfahrens vor, dass zu jeder einzelnen Anmeldung eine Recherche angemessenen Umfangs durchgeführt wird, bevor sie der Prüfungsabteilung zugeleitet wird. Zu diesem Zweck hat der Anmelder auf Aufforderung der Recherchenabteilung eine oder mehrere weitere Gebühr(en) für eine oder mehrere weitere Erfindung(en), auf die sich die Anmeldung bezieht, zu zahlen, wenn er sicherstellen will, dass eine der weiteren Erfindungen Gegenstand der Patentansprüche dieser Anmeldung werden kann. Diese zutreffende Auslegung der R. 46 (1) EPÜ 1973 ergibt sich aus ihrem Zusammenhang. Damit ist die an der Entscheidung T 178/84 orientierte Praxis bestätigt worden.
In T 319/96 war zwar die ursprüngliche Anmeldung uneinheitlich; es wurde jedoch keine weitere Recherchengebühr entrichtet. Der Anmelder hatte vorgetragen, dass er wegen der vom EPA (in der prioritätsbegründenden Anmeldung) für die Gegenstände der ursprünglichen Ansprüche 4 bis 10 durchgeführten Recherche internationaler Art (Art. 15 (5) a) PCT) sein Wahlrecht nicht verloren habe und diese Gegenstände folglich weiterverfolgen könne. Er habe für jede der zwei Erfindungen eine Recherchengebühr gezahlt, und zwei Recherchenberichte seien vom Amt erstellt worden. Die Kammer stellte jedoch fest, dass gemäß R. 46 (1) EPÜ 1973 für jede weitere Erfindung eine Recherchengebühr zu entrichten sei, wenn der europäische Recherchenbericht diese Erfindung erfassen solle. R. 46 EPÜ 1973 sehe nicht vor, dass ein Recherchenbericht aus einem anderen Verfahren an die Stelle des europäischen Recherchenberichts treten könne. Die Kammer verwies vielmehr auf die nach Art. 10 (2) GebO 1973 (nunmehr Art. 9 (2) GebO) bestehende Möglichkeit einer vollständigen oder teilweisen Rückzahlung der europäischen Recherchengebühr für den Fall, dass das Amt bereits früher einen Recherchenbericht zu demselben Gegenstand erstellt hat. G 2/92 sei ebenfalls auf den vorliegenden Fall anwendbar, weil im Rahmen des europäischen Verfahrens nach Zahlung von nur einer Recherchengebühr nur ein einziger Recherchenbericht erstellt worden sei.
In T 2289/09 brachte der Beschwerdeführer Folgendes vor: Nachdem es gängige Praxis sei, dass eine Änderung in einer Teilanmeldung auf einen im Rahmen der Stammanmeldung recherchierten Gegenstand gestützt werden könne, sollte auch ein im Rahmen der Teilanmeldung recherchierter Gegenstand grundsätzlich als recherchierter Gegenstand gelten und somit die Grundlage für eine Änderung der Stammanmeldung bilden können. Dies sei in G 2/92 (ABl. 1993, 591) nicht ausdrücklich ausgeschlossen worden. Die Kammer war anderer Ansicht. Die Große Beschwerdekammer habe in G 2/92 festgestellt, dass bei Nichtzahlung der geforderten Recherchengebühren der betreffende Gegenstand in der Anmeldung, zu der die Recherche durchgeführt wurde, nicht weiterverfolgt werden kann und ferner, "dass es sich bei der ... zu prüfenden Erfindung um eine Erfindung handeln muss, für die vor Erstellung des europäischen Recherchenberichts eine Recherchengebühr entrichtet wurde". Diese Aussage sei über die in G 2/92 genannten Gründe hinaus von Bedeutung. Wenn ein Anmelder wünsche, dass für seine Teilanmeldung eine frühere Recherche genutzt werde, müsse er dennoch die Recherchengebühren entrichten (R. 36 (3) EPÜ). Diese würden erstattet, wenn bestimmte Kriterien erfüllt seien (s. Beschluss des Präsidenten des EPA nach Art. 9 (2) GebO, ABl. SA 1/2010), nämlich dann, wenn das EPA den früheren Recherchenbericht verwerten könne. Es gebe keine Regelung, wonach das EPA die Recherche fortsetzen und dabei auch die betreffenden Ansprüche und ihren Schutzumfang prüfen könne, wenn für einen bestimmten Teil der Anmeldung keine Recherchengebühren entrichtet worden seien. Ebenso wenig gebe es eine Regelung, wonach die Prüfungsabteilung zur Zahlung weiterer Recherchengebühren auffordern könne, um die Verwertbarkeit der früheren Recherche zu untersuchen, die für die Teilanmeldung durchgeführt worden sei.
In T 631/97 (ABl. 2001, 13) vertrat die Kammer die Auffassung, dass es der Prüfungsabteilung bei richtiger Auslegung der R. 46 (1) EPÜ 1973 nicht untersagt sei, die Auffassung der Recherchenabteilung zur mangelnden Einheitlichkeit auch dann zu überprüfen, wenn weitere Recherchengebühren nicht entrichtet wurden. Eine enge Auslegung von R. 46 (1) EPÜ 1973 dahin gehend, dass die Feststellung mangelnder Einheitlichkeit durch die Recherchenabteilung als endgültig zu betrachten sei, wenn keine zusätzlichen Recherchengebühren gezahlt würden, würde dem Anmelder die Möglichkeit nehmen, dieses Urteil im Rahmen des Prüfungsverfahrens anzufechten, und außerdem die Befugnis der Prüfungsabteilung in der Frage der Einheitlichkeit zu Unrecht auf die Gegenstände beschränken, für die Recherchengebühren entrichtet wurden. Damit folgte die Kammer der in T 1109/96 dargelegten Auffassung nicht. Ihres Erachtens stimmte die vorstehende Auslegung von R. 46 (1) EPÜ 1973 mit der Auslegung durch die Große Beschwerdekammer in G 2/92 überein, und auch das Prüfungsverfahren gemäß den Richtlinien stehe mit G 2/92 in Einklang. Ferner stellte sie mit Bezug auf R. 112 EPÜ 1973 fest, dass die Recherchen- und Prüfungspraxis nach PCT in Fällen, in denen das EPA Auswahl- oder Bestimmungsamt war, ebenfalls mit dieser Sichtweise im Einklang stehe. In T 708/00 (ABl. 2004, 160) wurde dieser Entscheidung gefolgt – s. auch dieses Kapitel II.B.6.3.