5.4. Einmaliges Versehen in einem zuverlässigen System zur Fristenüberwachung oder zur Abwicklung der Post
In T 324/90 (ABl. 1993, 33) vertrat die Kammer die Auffassung, dass bei einem großen Unternehmen, in dem immer eine beträchtliche Anzahl von Terminen überwacht werden muss, in der Regel erwartet werden kann, dass zumindest ein wirksames System zur Vertretung von Angestellten im Falle der Abwesenheit aus Krankheits- oder sonstigen Gründen besteht, mit dem sichergestellt wird, dass amtliche Dokumente wie Entscheidungen des EPA, die Fristen für die Vornahme von Verfahrensschritten in Gang setzen, ordnungsgemäß bearbeitet werden.
In T 1401/05 vom 20. September 2006 date: 2006-09-20 folgte die Kammer den Entscheidungen T 324/90, J 41/92 und J 5/94 und hielt es für erforderlich, dass angemessene Vorkehrungen für den Fall der krankheitsbedingten Abwesenheit einer Person getroffen werden, die für die Überwachung von Fristen zuständig ist, sofern nicht aufgrund besonderer Umstände das Treffen solcher Vorkehrungen einen unzumutbaren Aufwand bedeuten würde. Nur wenn solche notwendigen Vorkehrungen getroffen würden, könne ein Fristenüberwachungssystem als "in der Regel zufriedenstellend" betrachtet werden (s. T 324/90), was wiederum eine Voraussetzung dafür sei, dass eine Krankheit als Entschuldigung für ein Fristversäumnis angesehen werden könne. Was die Absicherung in diesem speziellen Fall angehe, so sei nach Auffassung der Kammer zu berücksichtigen, dass der Anmelder nur wenige Fristen zu überwachen habe (weil er nur einige wenige Patentanmeldungen im Jahr einreiche). Angesichts dieser Umstände hielt es die Kammer nicht für erforderlich, dass zur Erfüllung des Erfordernisses der gebotenen Sorgfalt besondere Vorkehrungen für die unvorhersehbare zweitägige Krankheit des einzigen Angestellten getroffen würden, der für die Fristenüberwachung zuständig sei; insbesondere habe für ihn kein Vertreter bestimmt werden müssen.
In T 122/91 führte die Beschwerdekammer aus, dass die gebotene Sorgfalt dann nicht beachtet worden sei, wenn der zuständige Geschäftsführer sich auf einer Reise befunden und seinen Vertreter nicht vorher über mögliche fristgebundene Angelegenheiten, die sofort zu bearbeiten seien, unterrichtet habe.
In J 41/92 (ABl. 1995, 93) erklärte die Juristische Kammer Folgendes: Wenn ein zugelassener Vertreter eine Ein-Mann-Kanzlei unterhalte, sollte er deshalb Vorkehrungen dafür treffen, dass im Falle seiner Verhinderung durch Krankheit die Wahrung von Fristen durch Einspringen anderer Personen sichergestellt werde. Gebe es in der Kanzlei keinen Vertreter oder Assistenten, so könne für diesen Zweck z. B. ein Kollege oder ein Berufsverband um Mithilfe gebeten werden. S. auch T 387/11 wo der Vertreter, der eine Ein-Mann-Kanzlei führte, Vorkehrungen getroffen hatte, dass im Normalfall die Wahrung von Fristen im Falle seiner Verhinderung durch Krankheit durch Einspringen eines Kollegen sichergestellt war; insofern hatte der Vertreter organisatorische Maßnahmen getroffen, die dem Erfordernis "aller gebotenen Sorgfalt" Rechnung trugen.
In T 677/02 entschied die Kammer, dass ein großes Unternehmen nicht mit aller den Umständen nach erforderlichen Sorgfalt gehandelt habe, wenn während der Kurzarbeit des eigentlich zuständigen Vertreters kein Stellvertreter für die Gegenkontrolle der Fristeneingabe in das Fristenüberwachungssystem bestimmt worden sei.
In T 2569/16 vertrat die Kammer folgende Auffassung: ist der Beschwerdeführer (Patentinhaber) zum maßgeblichen Zeitpunkt eine Gesellschaft, die zu einem in mehreren Ländern tätigen Konzern gehört, und wurde die auf geistiges Eigentum bezogene Arbeit innerhalb des Konzerns zentralisiert, so kann man davon ausgehen, dass in der IP-Abteilung ein funktionierendes System dafür sorgt, dass Fristen nicht versäumt werden, wenn der IP-Manager abwesend oder der Posten des IP-Managers unbesetzt ist.