5.4. Kriterien für die Zulässigkeit von Änderungen nach Regel 137 (5) EPÜ
Ein Anspruch kann durch die Aufnahme zusätzlicher Merkmale beschränkt werden, sofern die daraus resultierende Kombination in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung – explizit oder implizit – unmittelbar und eindeutig offenbart war und sich nicht auf eine Erfindung bezieht, die nicht recherchiert wurde (Richtlinien H‑V, 3.2 – Stand März 2022).
In T 708/00 (ABl. 2004, 160) dürften nach R. 86 (4) EPÜ 1973 geänderte Ansprüche nur dann zurückgewiesen werden, wenn der Gegenstand der ursprünglich eingereichten Ansprüche und derjenige der geänderten Ansprüche so geartet seien, dass im hypothetischen Fall der ursprünglich gleichzeitigen Einreichung all dieser Ansprüche neben einer Recherchengebühr für die ursprünglich tatsächlich eingereichten Ansprüche auch eine weitere Recherchengebühr für die geänderten Ansprüche, die einer weiteren Erfindung im Sinne der R. 46 (1) EPÜ 1973 entsprochen hätten, zu entrichten gewesen wäre (s. auch T 319/96; T 631/97, ABl. 2001, 13; T 1473/13). Die Kammer vertrat die Auffassung, dass "eine Änderung, mit der der Gegenstand des Hauptanspruchs durch zusätzliche, in der ursprünglich eingereichten Anmeldung offenbarte Merkmale nachträglich beschränkt werden solle, generell weder nach R. 86 (4) EPÜ 1973 noch nach R. 46 (1) EPÜ 1973 die Einheitlichkeit der Erfindung beeinträchtige" und dass "eine derartige Änderung eine normale Reaktion des Anmelders auf einen Einwand gegen die Patentierbarkeit desselben, nicht beschränkten Gegenstands darstelle". S. auch T 2334/11.
In T 274/03 wurde allerdings klargestellt, dass bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit eine Änderung die Einheitlichkeit der Erfindung nicht grundsätzlich beeinträchtigt. Die Einheitlichkeit ist demnach nicht beeinträchtigt, und die Änderung geht nicht mit einem Wechsel des Gegenstands nach der Recherche einher, wenn beispielsweise Merkmale aus der Beschreibung hinzugefügt werden, um etwas genauer zu definieren, das bereits ein Merkmal des ursprünglichen Hauptanspruchs war. S. T 1394/04.
In T 2334/11 stellte die Kammer fest, dass bei der Änderung eines ursprünglichen Anspruchs durch das Hinzufügen eines Merkmals bei Anwendung der R. 137 (5) EPÜ grundsätzlich zu untersuchen ist, ob sich das hinzugefügte Merkmal der ursprünglichen allgemeinen erfinderischen Idee, so wie diese aus den ursprünglich eingereichten Ansprüchen und der Beschreibung hervorgeht, unterordnen lässt (s. T 1640/07), und nicht, ob der ursprünglich beanspruchte Gegenstand und der in dem geänderten Anspruch definierte Gegenstand einer a posteriori vorgenommenen Beurteilung der Einheitlichkeit der Erfindung standhalten. Die Kammer betonte, dass die Rechtsprechung zur Anwendbarkeit der R. 137 (5) EPÜ sich u. a. daran orientiert, dass während Änderungen eines beanspruchten Gegenstands, die das Wesen oder die Natur der Erfindung – insbesondere durch das Ersetzen bzw. das Weglassen von Merkmalen in einem Anspruch, s. T 442/95, T 274/07 – erheblich verändern, Anlass zu einer Beanstandung nach R. 137 (5) EPÜ geben können, die bloße Einschränkung bzw. die Konkretisierung oder Ergänzung eines Anspruchs durch Aufnahme eines in der ursprünglich eingereichten Anmeldung offenbarten Merkmals – um z. B. einem Einwand fehlender Klarheit bzw. mangelnder Neuheit oder erfinderischer Tätigkeit zu begegnen – in der Regel nicht zu einem Mangel an Einheitlichkeit im Sinne von R. 137 (5) EPÜ führt. S. auch T 1503/13, T 820/15.
In T 1394/04 wies die Kammer darauf hin, dass die Eigenart des hinzugefügten Merkmals sorgfältig zu prüfen ist, um zu ermitteln, ob sich aufgrund der Änderung das Problem der mangelnden Einheitlichkeit der erfinderischen Idee des ursprünglichen Hauptanspruchs einerseits und des später beanspruchten Gegenstands andererseits stellt. Dies würde im vorliegenden Fall notwendigerweise die "a posteriori" zu treffende implizite Feststellung mangelnder Einheitlichkeit nach sich ziehen (unter Verweis auf T 274/03); den Richtlinien zufolge sollte ein derartiger Einwand mangelnder Einheitlichkeit die Ausnahme bleiben. Die Kammer stellte weiter fest, dass nicht auszuschließen ist, dass sich eine solche Situation aufgrund von späteren, allein von der Beschreibung gestützten Änderungen ergibt. Tatsächlich kann es vorkommen, dass die Beschreibung der Anmeldung eine weitere allgemeine erfinderische Idee enthält, die von derjenigen verschieden ist, die dem Hauptanspruch sowie ggf. den von diesem abhängigen Ansprüchen zugrunde liegt, die aber in der Beschreibung nicht klar identifiziert bzw. angegeben worden ist. Muss in einem solchen Fall der Gegenstand des Hauptanspruchs, dem die erste erfinderische Idee zugrunde liegt, aufgrund seines zu weit gefassten Wortlauts wegen fehlender Neuheit geändert werden, so kann jede Anspruchsänderung, die sich ausschließlich auf die weitere erfinderische Idee bezieht, einen "a posteriori" Einwand mangelnder Einheitlichkeit rechtfertigen. Dieses Beispiel zeigt, dass es Fälle geben kann, in denen die Einheitlichkeit der Erfindung beeinträchtigt wird, wenn der Hauptanspruch, dessen Gegenstand nicht neu, anhand von Merkmalen geändert wird, die eine Stütze ausschließlich in der Beschreibung finden. Obwohl dies in der Praxis nur sehr selten vorkommt, ist in einem solchen Fall wie gesagt R. 86 (4) EPÜ 1973 anzuwenden, um eine mögliche Umgehung von Art. 82 EPÜ 1973 zu vermeiden. Im vorliegenden Fall war jedoch klar, dass mit dem im Rahmen der Änderung eingefügten Merkmal ähnlich wie in T 274/03 einfach nur ursprüngliche, für die Erfindung wesentliche Merkmale des Anspruchs näher spezifiziert wurden, die einen wesentlichen Aspekt der Erfindung ausmachten. Daher lag keine fehlende Einheitlichkeit nach R. 86 (4) EPÜ 1973 in Verbindung mit Art. 82 EPÜ 1973 vor.
In Anlehnung an T 708/00 stellte die Kammer in T 2021/15 Folgendes fest: wird ein geänderter Anspruch, der Teil des ursprünglichen Anspruchssatzes war, als nach R. 137 (5) EPÜ unzulässig zurückgewiesen, so genügt es nicht zu zeigen, dass mangelnde Einheitlichkeit entstanden wäre. Gezeigt werden muss, dass keine Einheitlichkeit zwischen dem geänderten Anspruch und allen übrigen Ansprüchen des ursprünglichen Anspruchssatzes bestand, denn jeder dieser Ansprüche ist Teil der ursprünglich beanspruchten "Gruppe von Erfindungen". Mit anderen Worten: besteht Einheitlichkeit mit zumindest einem der ursprünglichen Ansprüche, so gilt R. 137 (5) EPÜ (Satz 1) EPÜ nicht.
In T 1866/15 schloss sich die Kammer der allgemeinen Aussage an, dass für die Beurteilung, ob geänderte Ansprüche den Erfordernissen der R. 137 (5) Satz 1 EPÜ genügen, zu klären ist, ob die geänderten Ansprüche wegen mangelnder Einheitlichkeit beanstandet worden wären, wenn sie in dem zum Zeitpunkt der Recherche aktenkundigen Anspruchssatz vorhanden gewesen wären. Sie stimmte auch der Aussage in den Richtlinien zu, dass "ein Einwand nach Regel 137 (5) Satz 1 EPÜ zu erheben [wäre], wenn ein in der Beschreibung offenbartes technisches Merkmal, dessen Wirkung in keinem Zusammenhang mit der/den Wirkung(en) der Merkmale der ursprünglich beanspruchten Erfindung(en) steht, einem Anspruch hinzugefügt würde" (s. Richtlinien H‑II, 6.2 – Stand März 2021), und zwar insofern, als die Wirkung der ursprünglich beanspruchten Erfindung auch die eines Merkmals aus einem abhängigen Anspruch sein kann. Wird jedoch durch eine Änderung ein Merkmal eingeführt, dessen Wirkung in keinem wie auch immer gearteten Zusammenhang mit den Wirkungen der Merkmale der ursprünglichen Ansprüche steht, so könnte dies ein valider Grund für die Prüfungsabteilung sein, ihre Zustimmung nach R. 137 (3) EPÜ zu verweigern.