3.3.2 Im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen
Die grundlegenden Entscheidungen zur Auslegung des Patentierungsverbots für im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen sind die konsolidierten Fälle G 2/07 (ABl. 2012, 130) und G 1/08 (ABl. 2012, 206). Die Vorlageentscheidung T 83/05 vom 22. Mai 2007 date: 2007-05-22 (ABl. 2007, 644) hatte ein Verfahren zur Gewinnung bestimmter Broccoli-Linien zum Gegenstand. In der Vorlageentscheidung T 1242/06 vom 4. April 2008 date: 2008-04-04 (ABl. 2008, 523) ging es um ein Verfahren zum Züchten von Tomatenpflanzen, die Tomaten mit verringertem Fruchtwassergehalt erzeugen.
Zunächst stellte die Große Beschwerdekammer fest, dass der Ausschluss von "im Wesentlichen biologischen Verfahren zur Züchtung von Pflanzen" nicht so verstanden werden kann, dass er sich auf Verfahren zur Züchtung von Pflanzensorten beschränkt. Der Wortlaut verbiete eine solche Interpretation.
Nachdem die Große Beschwerdekammer eine Reihe von möglichen Ansätzen für die Auslegung des Patentierungsverbots verworfen hatte, kam sie zu dem Schluss, dass ein nicht-mikrobiologisches Verfahren zur Züchtung von Pflanzen, das die Schritte der geschlechtlichen Kreuzung ganzer Genome und der anschließenden Selektion von Pflanzen umfasst oder aus diesen Schritten besteht, im Sinne des Art. 53 b) EPÜ "im Wesentlichen biologisch" ist. Ein solches Verfahren entgeht dem Patentierungsverbot nicht allein schon deshalb, weil es als weiteren Schritt oder als Teil eines der Schritte der Kreuzung und Selektion einen technischen Verfahrensschritt enthält, der dazu dient, die Ausführung der Schritte der geschlechtlichen Kreuzung ganzer Pflanzengenome oder der anschließenden Selektion von Pflanzen zu ermöglichen oder zu unterstützen.
Maßgeblich für dieses Ergebnis waren Überlegungen, die die Große Beschwerdekammer zur Entstehungsgeschichte des Straßburger Patentübereinkommens und des EPÜ 1973 anstellte. Demnach wollte der Gesetzgeber diejenigen Pflanzenzüchtungsverfahren vom Patentschutz ausschließen, die zur damaligen Zeit die herkömmlichen Verfahren zur Züchtung von Pflanzensorten waren. Zu diesen herkömmlichen Verfahren gehörten insbesondere die Verfahren auf der Basis der geschlechtlichen Kreuzung von für den verfolgten Zweck als geeignet erachteten Pflanzen (d. h. ihrer ganzen Genome) und der anschließenden Selektion der Pflanzen mit einem oder mehreren gewünschten Merkmalen. Außerdem ließ sich aus der Entstehungsgeschichte entnehmen, dass die bloße Verwendung einer technischen Vorrichtung in einem Züchtungsverfahren nicht ausreichen sollte, um dem Verfahren als solchem technischen Charakter zu verleihen.
Die Große Beschwerdekammer unterschied diese Verfahren von solchen, die über den Bereich der Pflanzenzüchtung hinausgehen. Sie verwies auf R. 27 c) EPÜ, die ausdrücklich vorsieht, dass biotechnologische Erfindungen auch dann patentierbar sind, wenn sie ein mikrobiologisches oder sonstiges technisches Verfahren zum Gegenstand haben. Die ausgeschlossenen, im Wesentlichen biologischen Verfahren stehen demnach den patentierbaren, technischen Verfahren gegenüber. Nicht von der Patentierbarkeit ausgeschlossen nach Art. 53 b) EPÜ ist ein Verfahren der geschlechtlichen Kreuzung und Selektion, das einen zusätzlichen technischen Verfahrensschritt enthält, der selbst ein Merkmal in das Genom der gezüchteten Pflanze einführt oder ein Merkmal in deren Genom modifiziert, sodass die Einführung oder Modifizierung dieses Merkmals nicht durch das Mischen der Gene der zur geschlechtlichen Kreuzung ausgewählten Pflanzen zustande kommt. Bei der Prüfung der Frage, ob ein solches Verfahren als "im Wesentlichen biologisch" im Sinne des Art. 53 b) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist, ist nicht maßgebend, ob ein technischer Schritt eine neue oder eine bekannte Maßnahme ist, ob er unwesentlich ist oder eine grundlegende Änderung eines bekannten Verfahrens darstellt, ob er in der Natur vorkommt oder vorkommen könnte oder ob darin das Wesen der Erfindung liegt.
Im Ergebnis bedeutet dies, dass das Vorhandensein eines als biologisch charakterisierten Merkmals in einem Anspruch nicht zwangsläufig dazu führt, dass das beanspruchte Verfahren als Ganzes nach Art. 53 b) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist. Dies gilt aber nicht, wenn das Verfahren geschlechtliche Kreuzung und Selektion einschließt.
In T 2323/11 betraf die Erfindung die Entfernung unerwünschter Sequenzen aus dem Genom transgener Pflanzen, die ein eingefügtes Gen für ein agronomisch wertvolles Merkmal aufweisen. In G 2/07 und G 1/08 hatte die Große Beschwerdekammer erläutert, dass sich gemäß Art. 53 b) EPÜ die ausgeschlossenen Verfahren dadurch auszeichneten, dass die Merkmale der aus der Kreuzung hervorgehenden Pflanzen durch das zugrunde liegende natürliche Phänomen der Meiose determiniert würden. Die Kammer war – entgegen der Argumentation des Beschwerdeführers – der Auffassung, dass das Merkmal des Ausschneidens des Zielgens daher aus der Kreuzung der Elternpflanzen hervorgehe und durch das zugrunde liegende natürliche Phänomen der Meiose determiniert werde, weil Letztere das Erbgut der gezüchteten Pflanzen bestimme. Das beanspruchte Verfahren falle daher nicht unter die in G 2/07 und G 1/08 getroffene Ausnahme für Verfahren, die einen zusätzlichen technischen Verfahrensschritt umfassen.
In T 2435/13 befasste sich die Kammer mit der Auslegung des Begriffs "im Wesentlichen biologisches Verfahren zur Züchtung von Pflanzen" im Lichte von G 2/07 und G 1/08. Der beanspruchte Gegenstand betraf die Gewinnung einer gegen Kohlhernie resistenten Brassica-oleracea-Pflanze durch Kreuzung einer gegen Kohlhernie resistenten Brassica-rapa-Pflanze mit Brassica oleracea, Entnahme von bei dieser Kreuzung entstehenden Embryonen (Embryo-Rescue) und Regeneration von Pflanzen aus diesen Embryos, anschließende Selektion der gegen Kohlhernie resistenten Pflanzen und Rückkreuzung mit einer Brassica-oleracea-Pflanze, Entnahme von bei dieser Rückkreuzung entstehenden Embryonen und erneute Selektion einer gegen Kohlhernie resistenten Pflanze. Die Kammer stellte fest, dass von der Patentierbarkeit alle Verfahren ausgeschlossen sind, die Schritte der geschlechtlichen Kreuzung ganzer Pflanzengenome und der anschließenden Selektion von Pflanzen umfassen oder aus diesen Schritten bestehen, unabhängig davon, ob diese Pflanzen geschlechtlich inkompatibel sind oder nicht; der Ausschluss betrifft nicht nur Verfahren, bei denen während der perfekten Paarung homologer Chromosomen im Zuge der Meiose meiotische Rekombinationsvorgänge über das gesamte Genom hinweg auftreten. Außerdem befand sie, dass Embryo-Rescue-Schritte zwar zusätzliche technische Verfahrensschritte gemäß der Definition in der Antwort auf die dritte Vorlagefrage in G 1/08 und G 2/07 sind, aber für sich allein genommen nicht das Merkmal der Kohlhernie-Resistenz in das Genom der gezüchteten Pflanzen einführen. Folglich fiel der Gegenstand unter den Patentierbarkeitsausschluss.
In T 915/10 betraf die Erfindung Sojabohnenpflanzen, die genetisch verändert worden waren. Das Verfahren war ausschließlich durch den technischen Verfahrensschritt definiert, eine Gensequenz mittels eines gentechnischen Schritts zur Einbringung heterologer DNA in Pflanzenzellen, in das Genom der Pflanze einzubringen. Die Kammer stellte fest, dass das eingeführte Merkmal direkt auf die Expression der eingebrachten DNA zurückzuführen ist und nicht aus einem durch Kreuzung und Selektion gekennzeichneten Pflanzenzüchtungsverfahren resultiert. Das beanspruchte Verfahren erfordert oder definiert nämlich weder explizit noch implizit Schritte, die das Mischen von Pflanzengenen durch geschlechtliche Kreuzung und anschließende Selektion von Pflanzen beinhalten. Aus der Sicht der Kammer fällt das beanspruchte Verfahren daher nicht unter den Ausschluss von "im Wesentlichen biologischen Verfahren zur Züchtung von Pflanzen" gemäß Art. 53 b) EPÜ. Der beanspruchet Gegenstand ist vielmehr auf ein Verfahren zur Herstellung von Pflanzen mittels gentechnischer Merkmale gerichtet, bei dem Labortechniken zum Einsatz kommen, die sich grundlegend von Züchtungsverfahren unterscheiden und als solche in der Rechtsprechung als patentierbar anerkannt worden sind. In den Entscheidungen G 2/07 und G 1/08 deutet nichts darauf hin, dass die Große Beschwerdekammer der Meinung war, dies sei infolge ihrer Analyse des in Art. 53 b) EPÜ verankerten Verfahrensausschlusses zu überdenken.