4.4.6 Ermessen nach Artikel 13 (1) VOBK 2020 – neue Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel
In T 2227/15 ließ die Kammer in Anwendung von Art. 13 (1) VOBK 2020 sowie Art. 13 VOBK 2007, insbesondere Art. 13 (1) und (3) VOBK 2007, den auf D1 in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen gestützten Angriff des Beschwerdeführers auf die erfinderische Tätigkeit nicht zu. Die Kammer befand, dass dieser Angriff erstmals in der vor ihr stattfindenden mündlichen Verhandlung substantiiert worden war; die früheren allgemeinen Ausführungen des Beschwerdeführers zur erfinderischen Tätigkeit wurden für nicht substantiiert befunden und blieben unberücksichtigt, da sie nicht den vollständigen Sachvortrag des Beteiligten im Sinne von Art. 12 (2) VOBK 2007 darstellten, der Art. 12 (3) VOBK 2020 entspricht. In Reaktion auf die Mitteilung der Kammer hatte der Beschwerdeführer weder substantiierte Argumente vorgelegt, noch zur diesbezüglichen vorläufigen Einschätzung der Kammer Stellung genommen. Nach Auffassung der Kammer hatte der Beschwerdegegner daher allen Grund zu der Annahme, dass ein Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit nicht mehr verfolgt werde. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls kam die Kammer zu dem Schluss, dass eine Zulassung dieses Angriffs zum Verfahren nicht nur die Komplexität der zu erörterten Angelegenheit wesentlich erhöhen und erheblich verändern würde, sondern auch der gebotenen Verfahrensökonomie zuwiderlaufen und den Beschwerdegegner überraschen würde.
In T 1217/17 entschied die Kammer zunächst mit Verweis auf Art. 12 (2) und (4) VOBK 2007, mehrere in der Beschwerdeerwiderung erwähnte Angriffslinien nicht zu berücksichtigen, da diese nicht ausreichend substantiiert waren. Die in der mündlichen Verhandlung vom Beschwerdegegner (Einsprechenden) angekündigte "Expandierung" des Vortrags sah die Kammer als substantielle Änderung des Beschwerdevorbingens an (siehe die Zusammenfassung in Kapitel V.A.4.2.2 k)). Bei der Ausübung des durch Art. 13 (1) VOBK 2020 eingeräumten Ermessens (Art. 13 (2) VOBK 2020 war noch nicht anwendbar) berücksichtigte die Kammer unter anderem den Stand des Verfahrens und den Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie. Sie hob hervor, dass es sich um ganz neue Vorträge handelte, deren Zulassung komplexe neue Fragen in einem sehr späten Stadium des Beschwerdeverfahrens aufgeworfen hätten, deren Erörterung zwangläufig eine negative Auswirkung auf die Verfahrensökonomie zur Folge gehabt hätte. In einer solchen Situation könne auch vom Beschwerdeführer nicht verlangt werden, dass er in kurzer Zeit eine Entgegnung auf erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Ausführungen ausarbeitet.