7.2.2 Nachweis der therapeutischen Wirkung
In T 2218/16 (Gentherapie für Motoneuronerkrankungen – scAAV9-Vektor) fasste die Kammer zusammen, dass nach der ständigen Rechtsprechung die Bereitstellung von Nachweisen in der Patentanmeldung für eine beanspruchte Wirkung keine Voraussetzung für die Patentierbarkeit ist, wenn es auf der Grundlage der Daten in der Patentanmeldung/dem Patent oder des allgemeinen Fachwissens plausibel ist, dass ein Erzeugnis (hier scAAV9) für die beanspruchten therapeutischen Anwendungen geeignet ist (die Entscheidung enthält auch eine detaillierte Zusammenfassung der Rechtsprechung zur Beweislast, s. Nr. 32 der Gründe).
Die Beschwerdekammern haben Versuchsdaten jeder Art akzeptiert. Zudem wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass es nicht immer erforderlich ist, Ergebnisse der Anwendung der beanspruchten Zusammensetzung in klinischen Versuchen oder zumindest in Tierversuchen anzugeben (T 1273/09 mit Verweis auf T 609/02).
In T 421/14 (Dosierungsanleitung für zweimal tägliche Behandlung – Multiple Sklerose) bezogen sich die Ansprüche auf eine weitere medizinische Verwendung. Alle von den Beschwerdeführern (Einsprechenden) erhobenen Einwände betrafen die Glaubwürdigkeit der angeblichen therapeutischen Wirksamkeit. Der Beschwerdegegner stützte sich auf die Daten und die Analyse eines klinischen Versuchs. Es war bekannt, dass nur ein Teil der Patienten auf die Behandlung ansprach. Die Existenz einer Population von Non-Respondern wurde auch durch die eigenen Ergebnisse der Erfinder bestätigt. Nach Auffassung der Kammer ist die Existenz von Non-Respondern kein Grund, die ausreichende Offenbarung zu verneinen, und die Behandlung von Non-Respondern muss nicht ausgeschlossen oder durch einen Disclaimer ausgeklammert werden. Dass ein erheblicher Anteils von Patienten Non-Responder sind, ist ein häufiges Phänomen.
In T 338/10 war der Anspruch 1 als Anspruch auf eine weitere therapeutische Verwendung formuliert, bei dem der Wirkstoff ein "erstes Allergen" und die therapeutische Anwendung die Behandlung bzw. Vorbeugung einer Allergie war, die durch ein zweites, vom ersten verschiedenes Allergen hervorgerufen wurde. Die Kammer befand, dass das Patent keinerlei Versuchsdaten enthielt, die belegten, dass das erste Allergen zur Behandlung einer durch ein zweites, vom ersten verschiedenes Allergen hervorgerufenen Allergie diene.
In T 1777/12 handelte es sich bei den Ansprüchen 1 und 10 um Ansprüche auf medizinische Verwendung. Sie betrafen die Verwendung eines PYY-Agonisten zur Herstellung eines Arzneimittels, mit dem eine Stoffwechselstörung bei einem fettleibigen oder übergewichtigen Patienten behandelt wird. Klinische Versuche sind zur Feststellung der Eignung nicht erforderlich. Gegebenenfalls kann es ausreichend sein, wenn In-vitro- und In-vivo-Daten unmittelbar und zweifelsfrei belegen, dass die therapeutische Wirkung von der beanspruchten therapeutischen Verwendung ausgeht, oder wenn es alternativ einen eindeutigen und allgemein anerkannten erwiesenen Zusammenhang zwischen den physiologischen Aktivitäten der Verbindung und der betreffenden Erkrankung gibt. Die Kammer war überzeugt, dass die Offenbarung in der Patentschrift die Eignung von PYY belegte, durch Gewichtsreduzierung oder verminderte Gewichtszunahme in allen beanspruchten therapeutischen Anwendungen eine positive Wirkung zu erzielen.
In T 1023/02 befand die Kammer, die Tatsache, dass laut eines später veröffentlichten Dokuments kein nachweislich wirksamer Impfstoff gegen HSV verfügbar sei, beweise nicht, dass der erfindungsgemäße Impfstoff nicht nachgearbeitet werden könne, da es andere, beispielsweise mit der Zulassung zusammenhängende Gründe geben könne, keine erfindungsgemäßen Impfstoffe herzustellen. Auch setze die Erfüllung von Art. 83 EPÜ 1973 die Durchführung und Offenbarung von klinischen Tests nicht voraus.
Da es typischerweise schwierig ist, die amtliche Zulassung einer chemischen Verbindung als Arzneimittel zu erhalten, verlangen die Beschwerdekammern in der Praxis für die Anerkennung der ausreichenden Offenbarung einer therapeutischen Anwendung nicht unbedingt, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt Ergebnisse von klinischen Tests vorgelegt werden, doch muss das Patent bzw. die Patentanmeldung Angaben enthalten, aus denen hervorgeht, dass die beanspruchte Verbindung sich unmittelbar auf einen Stoffwechselvorgang auswirkt, der speziell an der betreffenden Krankheit beteiligt ist. Wird dies im Patent bzw. in der Patentanmeldung nachgewiesen, so können nachträglich veröffentlichte Dokumente als Beweismittel zur Stützung der Offenbarung in der Patentanmeldung berücksichtigt werden (T 433/05). In T 1045/13 stimmte die Kammer den Aussagen in T 433/05 und T 801/06 zu, aber im Fall T 1868/16 (Eignung von Everolimus für die Behandlung von PNET) enthielt die Patentschrift weder Daten noch ein plausibles technisches Konzept.