D. Fristen, per Fax übermittelte Unterlagen, Weiterbehandlung und Verfahrensunterbrechung
Nach Art. 121 (1) EPÜ kann der Anmelder grundsätzlich bei Versäumung von gegenüber dem Amt einzuhaltenden Fristen die Weiterbehandlung seiner Anmeldung beantragen. Allerdings sehen Art. 121 (4) und R. 135 (2) EPÜ hiervon Ausnahmen vor, insbesondere für die Prioritätsfrist, Rechtsmittelfristen, die Fristen für den Antrag auf Weiterbehandlung und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, und einige Fristenversäumnisse, denen nach einer speziellen Bestimmung der Ausführungsordnung abgeholfen werden kann (z. B. R. 58 und R. 59 EPÜ). Im Unterschied zum EPÜ 1973 sind damit insbesondere die Fristen zur Zahlung der Anmelde-, Recherchen- und Benennungsgebühren, der nationalen Grundgebühr und der Prüfungsgebühr sowie die Frist zur Stellung des Prüfungsantrags weiterbehandlungsfähig (ABl. SA 4/2007, MR/2/00, 157). Der Antrag wird einfach durch Zahlung der entsprechenden Gebühr gestellt (ABl. SA 5/2007).
In J 37/89 (ABl. 1993, 201) wies die Juristische Beschwerdekammer darauf hin, dass ein Anmelder durch einen Antrag auf Weiterbehandlung nach Art. 121 EPÜ 1973 den infolge der Ablehnung der Fristverlängerung eintretenden Rechtsverlust nach Art. 96 (3) EPÜ 1973 (entspricht Art. 94 (4) EPÜ) überwinden könne. Dabei könne er die Rückzahlung der Weiterbehandlungsgebühr beantragen. Über diesen Nebenantrag sei im Rahmen der Endentscheidung zu befinden. Die Entscheidung über den Nebenantrag könne nach Art. 106 (3) EPÜ 1973 (Art. 106 (2) EPÜ) zusammen mit der Endentscheidung mit der Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde könne sich auch auf eine Anfechtung der Entscheidung über den Nebenantrag beschränken (s. auch J 29/10).
In J 47/92 (ABl. 1995, 180) erklärte die Juristische Beschwerdekammer, eine Weiterbehandlung nach Art. 121 EPÜ 1973 sei nur bei solchen Fristen möglich, deren Dauer vom EPA bestimmt werde. Diese Fragestellung ist durch die Neufassung des Art. 121 EPÜ überholt, der unabhängig davon gilt, ob die Fristen vom EPA bestimmt werden oder ob sie im Übereinkommen oder in der Ausführungsordnung festgelegt sind (MR/2/00, S. 157).
In J 16/92 stellte die Juristische Beschwerdekammer fest, dass die versäumte Handlung im Sinne des Art. 121 (2) EPÜ 1973 (R. 135 (1) EPÜ) in der Einreichung einer sachlichen Erwiderung auf einen Prüfungsbescheid besteht. Diese versäumte Handlung wird nicht durch die Einreichung eines Antrages auf Fristverlängerung zur Einreichung der beabsichtigten Erwiderung nachgeholt, denn ein Fristgesuch ist nicht ein Äquivalent für die Handlung, die die Partei innerhalb der erbetenen Frist vorzunehmen gedenkt.
In J 8/18 machte der Beschwerdeführer geltend, dass Weiterbehandlung nach Art. 121 EPÜ in Bezug auf die Versäumung der Frist nach R. 49ter.2 b) i) PCT zur Verfügung stehen sollte. Die Juristische Beschwerdekammer wies darauf hin, dass nach Art. 121 (4) EPÜ unter anderem die Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand explizit von der Weiterbehandlung ausgeschlossen sei. Ein Antrag auf Wiederherstellung eines Rechts gemäß R. 49ter.2 PCT sei äquivalent und in seiner Rechtsnatur identisch mit einem Wiedereinsetzungsantrag nach dem EPÜ. Das EPA sei nicht befugt, Weiterbehandlung nach Art. 121 (4) EPÜ zu gewähren.
In T 646/20 hatte die Prüfungsabteilung auf der Basis des ausdrücklichen Einverständnisses des Anmelders eine Entscheidung über die Erteilung erlassen. Nach der Erteilungsentscheidung äußerte der Beschwerdeführer sein Nichteinverständnis und beantragte Weiterbehandlung. Wie die Kammer feststellte, endet die Anhängigkeit einer Anmeldung im Falle der Erteilung am Tag vor der Veröffentlichung des Hinweises auf die Erteilung, G 1/09 (ABl. 2011, 336). Der Antrag auf Weiterbehandlung wurde somit in einem Stadium eingereicht, in dem die Patentanmeldung nicht mehr anhängig war. Die Kammer ließ gelten, dass der Rechtsbehelf der Weiterbehandlung nicht voraussetzt, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung eine anhängige Anmeldung vorliegt. Allerdings geht schon aus der Formulierung "Weiterbehandlung einer Anmeldung" hervor, dass eine Anmeldung vorliegen muss. Eine Anmeldung, die als zurückgenommen gilt, kann in das Stadium einer anhängigen Anmeldung zurückversetzt werden, sobald dem Antrag auf Weiterbehandlung stattgegeben wird, eine Anmeldung, auf die ein Patent erteilt wurde, aber nicht.