1.13. Offenbarung in den Zeichnungen
Bei der Überprüfung der Stütze eines Merkmals in einer Abbildung sind die exakt selben Maßstäbe anzulegen wie für die Beschreibung: entscheidend ist, was der Fachmann der Abbildung unter Heranziehung seines allgemeinen Fachwissens unmittelbar und eindeutig entnehmen würde (T 2537/10).
Aus der Rechtsprechung in T 169/83 (ABl. 1985, 193), die oft zitiert wird, T 523/88 und T 818/93 geht hervor, dass es nach dem EPÜ durchaus zulässig ist, Ansprüchen durch Änderungen Merkmale hinzuzufügen, die aus den Zeichnungen entnommen wurden, sofern diese Merkmale bezüglich Funktion und Struktur für den Fachmann unmittelbar, vollständig und eindeutig aus den Zeichnungen ersichtlich sind und keinerlei Widersprüche mit den übrigen Offenbarungsstellen bestehen. Außerdem darf kein Verzicht ausgesprochen worden sein.
In T 169/83 (ABl. 1985, 193), T 465/88 und T 308/90 wurde festgestellt, dass die Zeichnungen, falls vorhanden, als integraler Bestandteil der die Erfindung offenbarenden Unterlagen der Anmeldung zu betrachten sind. Die Zeichnungen sind in ihrer Bedeutung den anderen Teilen der Anmeldung gleichzustellen (s. auch Kapitel II.E.1.2.1 "Beschreibung, Patentansprüche und Zeichnungen"). Außerdem schließt die Tatsache, dass Merkmale ausschließlich in den Zeichnungen offenbart sind, nicht aus, dass diese Merkmale im Verlaufe des Verfahrens wesentliche Bedeutung erlangen (T 818/93). Merkmale, die der Fachmann in Bezug auf Aufbau und Funktion den Zeichnungen eindeutig entnehmen kann, dürfen durchaus herangezogen werden, um den Gegenstand des Schutzbegehrens zu definieren (T 372/90).
In T 676/90 betonte die Kammer, dass eine Zeichnung nie losgelöst vom Gesamtinhalt der Anmeldung, sondern nur in diesem Gesamtrahmen interpretiert werden könne. Der Inhalt einer Anmeldung werde nicht nur durch die darin erwähnten oder gezeigten Merkmale, sondern auch durch deren Beziehung zueinander bestimmt.
In T 191/93 basierten die Änderungen ausschließlich auf den ursprünglichen Zeichnungen und führten nur einige der darin offenbarten Merkmale ein. Die Kammer war hier der Auffassung, dass der Gegenstand des Patents gegenüber der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung erweitert worden sei, weil den Zeichnungen nicht zu entnehmen sei, dass die beiden neu eingeführten Merkmale von den anderen in den Zeichnungen dargestellten Merkmalen isoliert werden könnten. Für weitere Fälle, in denen die Isolierung von Merkmalen aus einer Zeichnung zu einer unzulässigen Zwischenverallgemeinerung führte, s. T 1408/04 und T 983/12.
In T 398/92 enthielten die Patentansprüche in der geänderten Fassung Merkmale, die zwar im Textteil der ursprünglichen Anmeldung nicht ausdrücklich erwähnt, jedoch ihren Abbildungen entnommen worden waren. Die fraglichen Zeichnungen veranschaulichten Kurven in einem kartesischen Koordinatensystem mit genau definierter Skalierung. Diese Kurven waren daher nicht mit der schematisierten Darstellung einer Erfindung vergleichbar, die grafisch wiedergegeben wurde. Die Kammer erkannte an, dass die Punkte dieser Kurven keine rein intellektuellen grafischen Gebilde waren, sondern tatsächlichen Versuchswerten entsprachen. Auch wenn die Prozentangaben über den freigesetzten Wirkstoff nicht ausdrücklich im ursprünglichen Dokument erwähnt seien, hätte sie der Fachmann dank der Skalierung auf der Ordinatenachse klar und eindeutig ableiten können, da die Präzision der Zeichnungen ein genaues Ablesen der Ordinatenwerte und damit ein Ableiten derselben numerischen Merkmale ermögliche, wie sie in die Ansprüche aufgenommen worden seien. Demnach verstoße es nicht gegen Art. 123 (2) EPÜ 1973, die den Kurven entnommenen numerischen Merkmale in den Text der Ansprüche einzufügen (über die Kurvendarstellung einer mathematischen Gleichung s. T 145/87).
In T 1544/08 befand die Kammer, dass der technische Inhalt der ursprünglichen Farbzeichnungen zu bestimmen ist, wenn am Anmeldetag ursprünglich farbige Zeichnungen eingereicht worden sind und der Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung ermittelt werden muss, um festzustellen, ob Änderungen Art. 123 (2) EPÜ genügen.
- T 324/21
Catchword:
The description of a drawing may be inextricably linked to the specific disclosure of this drawing. If a feature in the description of the drawing is extracted from the very specific context of the drawing in order to be included in a claim, the specific disclosure of the drawing must be taken into account. If there is no literal support for this specific disclosure in the application as filed which could be used for supplementing the feature used for amending the claim, it may not be possible to avoid an unallowable intermediate generalisation. This may in particular occur if a feature from a specific and detailed embodiment is placed in the context of a schematic drawing. This may lead to a trap-like situation. (Reasons, 2.8.4 and 2.9)