4. Berichtigung von Fehlern in der Beschreibung, den Ansprüchen oder den Zeichnungen – Regel 139 EPÜ
In J 42/92 ging es um die Frage, ob nach Patenterteilung noch ein Antrag gemäß R. 88 Satz 2 EPÜ 1973 gestellt werden kann. Die Kammer entschied, dass Änderungen der Beschreibung oder der Ansprüche nach R. 88 EPÜ 1973 nur beantragt werden können, solange das Anmelde- oder Einspruchsverfahren läuft. De facto wird die Entscheidung über die Erteilung des europäischen Patents nach Art. 97 (4) EPÜ 1973 an dem Tag wirksam, an dem im Europäischen Patentblatt auf die Erteilung hingewiesen worden ist. Danach kann R. 88 EPÜ 1973 nur noch in einem anhängigen Einspruchsverfahren angewandt werden. Im vorliegenden Fall war der Erteilungsbeschluss bereits wirksam geworden und kein Einspruch eingelegt worden. Daher wurde die Beschwerde zurückgewiesen, da das Europäische Patentamt zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr zur Prüfung eines Antrags nach R. 88 EPÜ 1973 befugt war (s. auch J 23/03 und T 493/08).
Zu erwähnen ist, dass in der Entscheidung G 1/10 (ABl. 2013, 194) der jeweilige Anwendungsbereich verschiedener Rechtsvorschriften zu R. 140 EPÜ (früher R. 89 EPÜ 1973) erörtert wird, insbesondere R. 139 EPÜ (Nrn. 9 und 11 der Gründe) und Art. 123 EPÜ (s. Nr. 13 der Gründe).
In T 657/11 wies die Kammer darauf hin, dass R. 140 EPÜ gemäß G 1/10 nicht zur Berichtigung des Wortlauts eines erteilten Patents herangezogen werden kann und ein solcher Antrag auf Berichtigung zu jedem Zeitpunkt unzulässig ist, also auch nach Einleitung des Einspruchsverfahrens (so auch T 2051/10, T 164/14, T 1578/13). Im vorliegenden Fall waren jedoch die Ansprüche über eine bloße Fehlerbeseitigung hinaus geändert, nämlich auf die erteilten (Verfahrens-)Ansprüche 6 – 11 beschränkt worden. Dadurch war die Grundlage für die Entscheidung über die Beschwerde (und damit auch über den Einspruch) nicht mehr dieselbe wie für den Beschluss zur Erteilung des Streitpatents, der endgültig unwirksam wurde und an dessen Stelle eine neue Entscheidung getreten ist. In einem solchen Fall stellt jede (weitere) Änderung der Ansprüche, auch wenn sie darauf abzielt, einen offensichtlichen Fehler in den erteilten Ansprüchen zu beseitigen, keine Berichtigung eines Fehlers in einer Entscheidung des EPA im Sinne der R. 140 EPÜ dar. Die Kammer entschied, dass im Einspruchsverfahren Fehler oder Unrichtigkeiten der Ansprüche, der Beschreibung oder der Zeichnungen des Patents in der erteilten Fassung entweder durch eine Änderung wegen eines Einspruchsgrunds nach Art. 100 EPÜ behoben werden können (s. R. 80 EPÜ) oder, sofern die Fehler oder Unrichtigkeiten unverändert bleibende Textpassagen oder Zeichnungen betreffen, durch eine Berichtigung nach R. 139 EPÜ (die unabhängig von R. 80 EPÜ anwendbar ist; s. auch T 556/13). S. auch die Entscheidungen T 164/14 und T 1578/13, die aber die Frage, ob eine Berichtigung unter den in T 657/11 definierten Voraussetzungen gemäß R. 139 EPÜ zulässig wäre, letztlich offen lassen, da in beiden Fällen keine offensichtliche Unrichtigkeit vorlag.