4. Zulässigkeit des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Nach R. 136 (2) EPÜ (Art. 122 (3) EPÜ 1973) ist der Antrag auf Wiedereinsetzung zu begründen, wobei die zur Begründung dienenden Tatsachen glaubhaft zu machen sind. Diese Vorschrift wird von den Beschwerdekammern entweder unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit geprüft oder unter dem Gesichtspunkt des für die Begründetheit zu berücksichtigenden Vorbringens (s. dieses Kapitel III.E.5.1. "Zu berücksichtigendes Vorbringen").
Die Zulässigkeit eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt eine hinreichend substantiierte Begründung voraus, die innerhalb der Frist für die Stellung des Antrags eingereicht werden muss (J 15/10, s. auch J 19/05). Ein Wiedereinsetzungsantrag genügt den Voraussetzungen der R. 136 (2) Satz 1 EPÜ, wenn er einen schlüssigen Sachvortrag enthält, d. h., wenn die Gründe und Tatsachen, auf die sich der Antrag stützt, schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht werden (J 15/10; T 13/82, ABl. 1983, 411). Damit wird sichergestellt, dass die faktische Grundlage der beantragten Entscheidung nicht nach Ablauf der Frist für die Stellung des Wiedereinsetzungsantrags geändert wird (J 15/10, J 19/05, T 585/08, T 479/10). In dem Wiedereinsetzungsantrag ist daher neben dem genauen Grund, aus welchem die betreffende Frist versäumt wurde, auch anzugeben, wann und unter welchen Umständen dieses Hindernis eingetreten bzw. weggefallen ist, und es sind die wichtigsten Tatsachen darzulegen, anhand deren nachgeprüft werden kann, ob alle unter den Umständen gebotene Sorgfalt aufgewandt worden ist, um die betreffende Frist zu wahren (J 15/10, T 479/10, s. auch J 18/98). Ein nur auf allgemeine Erklärungen gestützter Wiedereinsetzungsantrag, der keine konkreten Tatsachen enthält, genügt den Anforderungen an einen ordnungsgemäß begründeten Antrag nach R. 136 (2) Satz 1 EPÜ nicht (J 19/05, T 1465/08, J 15/10). Die bloße Entrichtung der Gebühr reicht nicht aus, um den Erfordernissen der R. 136 (2) EPÜ zu genügen (T 1465/08).
In J 19/05 entschied die Juristische Kammer, dass die erforderliche Begründung des Wiedereinsetzungsantrags nicht hinreichend substantiiert. Der Antrag war völlig allgemein gehalten und enthielt keine konkreten Tatsachen zur Bestimmung eines Hinderungsgrunds, des zeitlichen Ablaufs der Ereignisse und der Kausalität der Tätigkeit bzw. Untätigkeit der beteiligten Personen im Hinblick auf die Nichtzahlung der Jahresgebühr.
In T 13/82 (ABl. 1983, 411) vertrat die Kammer die Auffassung, dass der Tatbestand schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht werden muss, der ein Fehlverhalten einer Hilfsperson als Ursache des Versäumnisses zumindest als wahrscheinlich erscheinen lasse. Die Möglichkeit eines Fehlverhaltens der Hilfsperson allein genüge zur Entlastung des Anmelders nicht.
In T 287/84 (ABl. 1985, 333) entschied die Kammer: Ein Antrag auf Wiedereinsetzung entspricht der Voraussetzung des Art. 122 (3) EPÜ 1973, dass die zur Begründung des Antrags dienenden Tatsachen glaubhaft zu machen sind, auch dann, wenn der ursprünglich eingereichte schriftliche Antrag diese Tatsachen zwar nicht enthält, aber im Zusammenhang mit einem anderen, sie enthaltenden Schriftstück gesehen werden kann, das vor Ablauf der Antragsfrist eingereicht worden ist.
In T 324/90 (ABl. 1993, 33) stellte die Kammer fest, dass die Beweismittel zur Stützung der Tatsachenbehauptungen auch noch nach Ablauf der Frist von zwei Monaten nach Art. 122 (2) EPÜ 1973 eingereicht werden können. Nur die Gründe und Tatsachen sind innerhalb dieser Frist anzugeben. Es ist nicht notwendig, in einem Antrag auf Wiedereinsetzung die Beweismittel (ärztliche Atteste, eidesstattliche Versicherungen und Ähnliches) anzugeben, auf die die als Begründung dienenden Tatsachen gestützt sind. Solche Beweismittel können erforderlichenfalls auch nach Fristablauf noch eingereicht werden (s. auch T 667/92 vom 10. März 1994 date: 1994-03-10, T 261/07, T 1764/08).
In J 8/95 brachte der Beschwerdeführer vor, dass in der deutschen Fassung des Art. 122 (3) EPÜ 1973 nicht verlangt werde, dass die Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags innerhalb der in Art. 122 (2) EPÜ 1973 festgesetzten Frist eingereicht werden müsse. Die Juristische Kammer entschied, dass Art. 177 (1) EPÜ 1973 einen einheitlichen Willen des Gesetzgebers voraussetze, der nur anhand aller drei Fassungen des Übereinkommens ermittelt werden könne (s. auch T 324/90, ABl. 1993, 33).
- Sammlung 2023 “Abstracts of decisions”