1.6.2 Auswahl aus zwei Listen – Herausgreifen einer Kombination von Merkmalen
In T 1374/07 entschied die Kammer, die sich auf T 811/96 bezog, dass die Auswahl zweier Komponenten (hier: Fett und Enzyme) aus einer Liste tatsächlich einer Mehrfachauswahl aus zwei identischen Listen entspricht (s. auch T 2375/09 und T 1506/13). Die Kammer kam somit zu dem Schluss, dass die Hinzufügung des Merkmals "Fett und Enzyme" in Anspruch 1 gegen Art. 123 (2) EPÜ verstieß.
In T 197/08 wies die Kammer darauf hin, dass das Merkmal "FIE als einziger Wirkstoff" nicht als solches in der ursprünglichen Anmeldung enthalten war. Der Beschwerdegegner (Einsprechende) hatte argumentiert, dass die Einführung des Merkmals "als einziger Wirkstoff" in Kombination mit FIE, das aus einer Gruppe von Verbindungen ausgewählt worden sei, in der es nicht der am stärksten bevorzugte Wirkstoff gewesen sei, eine nicht gewährbare Auswahl aus zwei Listen darstelle. Nach Auffassung der Kammer wurde FIE aus einer Liste von sechs besonders bevorzugten Wirkstoffen in Kombination mit Monotherapie (als einziger Wirkstoff) ausgewählt, wobei Monotherapie de facto die einzige in der ursprünglichen Anmeldung vorgesehene Verabreichungsform war. Unter diesen Umständen war das Merkmal nicht Ergebnis zweier Auswahlvorgänge aus verschiedenen Listen, sondern es musste im Grunde nur eine Auswahl, nämlich die Auswahl von FIE, getroffen werden, um zu dem Merkmal zu gelangen. Die Erfordernisse von Art. 123 (2) EPÜ waren somit erfüllt.
In T 236/08 war das Merkmal in Anspruch 1 "für eine Verabreichung durch Inhalation geeignet" nicht in den ursprünglich eingereichten Ansprüchen enthalten. Eine Grundlage für das Merkmal ließ sich jedoch in einer Liste in der Beschreibung finden, wo es als eine von verschiedenen Verabreichungsmöglichkeiten angegeben ist. Allerdings wäre die Kombination des Gegenstands von Anspruch 1 mit dem Gegenstand eines der abhängigen Ansprüche, der ebenfalls das Ergebnis einer Auswahl aus verschiedenen Möglichkeiten ist, eine unzulässige Auswahl aus mehreren Listen.
In T 209/10 behauptete der Beschwerdeführer (Patentinhaber), bei Anspruch 1 handle es sich nicht um eine unzulässige Auswahl, sondern um die bloße Streichung einer oder einiger Optionen aus einer Liste. Die Kammer war jedoch der Auffassung, dass die ursprüngliche Anmeldung die technische Wirkung der Verhütung von Knochenschwund offenbarte, die nicht identisch sei mit der in Anspruch 1 in der erteilten Fassung beschriebenen Verhütung von postmenopausaler Osteoporose bei Frauen nach der Menopause. Frauen nach der Menopause seien aus einer Liste mehrerer möglicher Optionen hinsichtlich der zu behandelnden Patienten ausgewählt worden. In Anspruch 1 des Hauptantrags sei noch eine weitere Auswahl getroffen worden, nämlich die der Darreichungsform des Arzneimittels als Tablette oder Kapsel. Eine orale Verabreichung sei nicht gleichbedeutend mit der Auswahl von Tabletten und Kapseln, da andere Formen wie Lösungen oder Suspensionen ebenfalls in Frage kämen. Außerdem werde der Patient in der ursprünglichen Anmeldung als alternder Mensch definiert, ohne Frauen nach der Menopause in Verbindung mit einer besonderen Dosierungsform die Präferenz zu geben. Die Kammer gelangte zu dem Schluss, dass Anspruch 1 einen Gegenstand herausgreife, der in der ursprünglichen Anmeldung nicht in individualisierter Weise offenbart werde.
In T 2134/10 stellte die Kammer fest, dass keine Kombination von unabhängigen Merkmalen aus zwei Listen vorlag. Die Kammer befand, dass ein spezifischer Grad von Sequenzidentität (in Anspruch 1 d): "mindestens 95 %") keine Eigenschaft sei, die es erlauben würde, in Kombination mit einem bestimmten, aus Tabelle 1 (unter 113 offenbarten, für potenziell antigene Peptide von S. pneumoniae codierenden offenen Leserahmen) ausgewählten Molekül ein bestimmtes Molekül herauszugreifen oder dem beanspruchten Gegenstand Eigenschaften zu verleihen, die aus der Anmeldung in der eingereichten Fassung nicht unmittelbar und eindeutig ableitbar waren.
In T 1581/12 war Anspruch 1 auf eine Kombination der Sequenzen SEQ ID Nrn. 4, 6 mit einer Fragmentlänge von "20 oder mehr zusammenhängenden Aminosäuren" und eine Auswahl der ein Epitop dieser Sequenzen enthaltenden Fragmente gerichtet. In der Stammanmeldung wurden die Sequenzen SEQ ID Nrn. 4, 6 als Mitglieder einer Liste von mehreren Hundert Sequenzen offenbart. Auch die in Anspruch 1 angegebene Fragmentlänge wurde in der Stammanmeldung in einer langen Liste von Längen offenbart, unter denen "je nach der spezifischen Sequenz" eine Auswahl zu treffen war. In Abgrenzung von T 583/09 und T 2134/10 wies die Kammer darauf hin, dass die in der Stammanmeldung offenbarten Fragmentlängenwerte von einem Fachmann so verstanden würden, dass sie für jedes einzelne Mitglied der offenbarten Aminosäuresequenzen (SEQ ID Nrn.) gelten, wobei die obere Länge dieser Fragmente "je nach der spezifischen Sequenz" variiert; die Liste der Fragmentlängen sei de facto nicht unabhängig von der Liste der Aminosäuresequenzen. Die Kombination des Werts "20 oder mehr zusammenhängende Aminosäuren" mit den Aminosäuresequenzen SEQ ID Nrn. 4, 6 beschränke daher nur die ursprüngliche Offenbarung in der Stammanmeldung. Durch diese Beschränkung entstehe kein neuer Gegenstand.
In T 119/15 wurde der Sachverhalt von T 1511/07 abgegrenzt (s. die Zusammenfassung unter Punkt a), weil er sich nicht auf Listen im Sinne von T 1511/07 bezog. Desgleichen konnte die Kammer in T 2695/16 das Argument des Beschwerdeführers nicht akzeptieren, dass die Kombination von Änderungen aus einer Auswahl aus zwei Listen von Verbindungen hervorgehe.