9.9. Chemische Erfindungen
In T 694/92 (ABl. 1997, 408) erklärte die Kammer mit Verweis auf T 939/92 (ABl. 1996, 309), dass sich nach Art. 56 EPÜ 1973 die beanspruchte Erfindung, d. h. die vorgeschlagene technische Lösung für eine bestimmte technische Aufgabe, für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben darf. Beruht die erfinderische Tätigkeit einer beanspruchten Erfindung auf einer bestimmten technischen Wirkung, so muss sich diese grundsätzlich im gesamten beanspruchten Bereich erzielen lassen (s. auch T 583/93, ABl. 1996, 496).
In T 939/92 (ABl. 1996, 309) wurden zu breiten Ansprüchen im chemischen Bereich grundlegende Ausführungen gemacht. Die Beschwerdekammer führte aus, dass in dieser Sache angesichts des Stands der Technik die technische Aufgabe in der Bereitstellung weiterer chemischer Verbindungen mit herbizider Wirkung bestehe. Es sei erforderlich, dass im Wesentlichen alle beanspruchten Verbindungen diese Wirkung aufwiesen. Die Frage, ob alle unter einen solchen Anspruch fallenden chemischen Verbindungen die betreffende technische Wirkung besitzen, kann sich im Rahmen des Art. 56 EPÜ 1973 stellen, wenn sich erweist, dass der geltend gemachte erfinderische Charakter der Verbindungen allein in dieser technischen Wirkung begründet liegt. Der Verweis des Beschwerdeführers auf die in der Beschreibung enthaltenen Versuchsergebnisse, wonach einige der beanspruchten Verbindungen tatsächlich eine herbizide Wirkung aufwiesen, sah die Beschwerdekammer nicht als ausreichenden Beweis dafür an, dass im Wesentlichen alle beanspruchten Verbindungen diese Wirkung hätten. In einem solchen Fall liege die Beweislast beim Beschwerdeführer. Somit seien die Erfordernisse des Art. 56 EPÜ 1973 nicht erfüllt (T 268/00, T 1188/00, T 320/01, T 1064/01, T 924/02, T 488/16).
In Anlehnung an T 939/92 (ABl. 1996, 309) stellte die Kammer in T 668/94 fest, die technische Aufgabe könne bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nur dann Berücksichtigung finden, wenn sie als erfolgreich gelöst angesehen werden könne, d. h., wenn es glaubhaft sei, dass im Wesentlichen alle beanspruchten Verbindungen als Wachstumsregulatoren für Pflanzen wirkten. Wenn hingegen nur einige und nicht im Wesentlichen alle beanspruchten Verbindungen eine bestimmte technische Wirkung aufwiesen, müsse daraus gefolgert werden, dass die Erfindung – in der im unabhängigen Anspruch definierten Breite – die technische Aufgabe, diese bestimmte technische Wirkung zu erzielen, nicht löse. Daher müsse die behauptete technische Wirkung einiger der beanspruchten Verbindungen bei der Bestimmung der erfindungsgemäßen technischen Aufgabe und damit auch bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit außer Acht gelassen werden.
In T 942/98 bestand die in der Anmeldung geltend gemachte Aufgabe in der Bereitstellung verbesserter selektiver Herbizide. Die Kammer verwies auf T 939/92 (ABl. 1996, 309) und vermochte daher dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht beizutreten, es genüge im vorliegenden Fall das Aufzeigen einer Wirkungsverbesserung lediglich unmittelbar an der Schnittstelle zwischen Stand der Technik und Anmeldung, um die geltend gemachte Wirkungsverbesserung ohne weitere Angaben für die gesamte Breite des Anspruchsbegehrens uneingeschränkt zu belegen. Nach Ansicht der Kammer stellt dieser Standpunkt des Beschwerdeführers im Ergebnis die patentfähige Breite eines Anspruchs in die beliebige Disposition des Anmelders, unabhängig davon, ob für alle beanspruchten Verbindungen eine Wirkungsverbesserung tatsächlich glaubhaft ist.
In T 415/11 wurde folgende Feststellung getroffen: Steht zur Debatte, ob es glaubhaft ist, dass eine technische Wirkung von nahezu allen beanspruchten Verbindungen herbeigeführt wird, und in einer Situation, in der dies prima facie unwahrscheinlich erscheint, ist nicht der Einsprechende, sondern der Patentinhaber dafür beweispflichtig, dass diese Wirkung erzielt wird (mit Verweis auf T 939/92, ABl. 1996, 309; T 97/00).
In T 41/16 stellte die Kammer fest, dass nach ständiger Rechtsprechung der Kammern verlangt werden muss, dass ein technischer Effekt, auf den sich erfinderische Tätigkeit gründet, im Wesentlichen im gesamten beanspruchten Bereich auftritt (s. z.B. T 939/92, ABI 1996, 309). Dies bedeutet aber nicht, dass jede vom Anspruch umfasste Zusammensetzung eine Verbesserung gegenüber jeder beliebigen, oder auch nur gegenüber der für die Ansprüche nächstliegenden, Zusammensetzung des Stands der Technik darstellen muss. Vielmehr muss verlangt werden, dass jeweils eine erfindungsgemäße Zusammensetzung, die sich von einer entsprechenden Zusammensetzung des nächsten Standes der Technik nur durch das den Anspruch von diesem Stand der Technik abgrenzende Merkmal unterscheidet, die behauptete Verbesserung aufweist.
In T 1296/13 stellte die Kammer fest, das Art. 69 EPÜ und das dazugehörige Protokoll keine Grundlage dafür liefern, Ausführungsformen aus einem Anspruch auszuschließen, die unter den Wortlaut des Anspruchs fallen (mit Verweis auf T 223/05).
- T 1265/17
Catchword:
If a claim is unduly broadened with respect to the scope of the examples used to illustrate a technical effect, particularly when this broadening concerns the feature/s allegedly providing that effect, the burden of proof might shift back to the proprietor to prove that the effect observed in the examples would also be obtained throughout the entire scope of the claims. If no evidence is provided in this respect, a conclusion may have to be drawn on the basis of plausibility arguments (reasons 2.2.5-2.2.7).
- Sammlung 2023 “Abstracts of decisions”