4.2.2 Zeugenaussagen und schriftliche Erklärungen
Dieser Abschnitt wurde aktualisiert, um die Rechtsprechung und Gesetzänderungen bis 31. Dezember 2023 zu berücksichtigen. Die vorherige Version dieses Abschnitts finden Sie in "Rechtsprechung der Beschwerdekammern", 10. Auflage (PDF). |
i) Anzuwendendes Recht und jüngste Diskussion in der Rechtsprechung
Diese Frage stellt sich insbesondere im Fall von Zeugenaussagen , denn die Kammern hören die Zeugen nicht notwendigerweise erneut an. Somit stellt sich die Frage nach dem Umfang der Befugnis der Beschwerdekammern zur Überprüfung von Tatsachenfeststellungen der ersten Instanz, insbesondere wenn diese Zeugen vernommen hat. Deshalb befasst sich mit dieser Frage der vorliegende Abschnitt.
Das anzuwendende Recht scheint durch T 1138/20 (insbesondere die Nrn. 1.2.4 und 1.2.6 der Gründe) gesetzt zu sein, die sich die in T 42/19 aufgestellten Grundsätze weitgehend zu eigen macht. T 1138/20 befasst sich nicht nur mit dem Zeugenbeweis, sondern auch mit schriftlichen Beweismitteln (s. z. B. Nr. 1.3.4 c) der Gründe).
In Bezug auf die Befugnisse der Kammern stellt T 1138/20 insbesondere fest, dass sie in Verfahren vor dem EPA die erste und letzte gerichtliche Instanz und somit das einzige Rechtsprechungsorgan sind, das Tatsachen sowohl in faktischer als auch in rechtlicher Hinsicht feststellt. Dementsprechend sind die Kammern in jeder Phase des Beschwerdeverfahrens befugt, die maßgebenden Tatsachen eines ihnen vorliegenden Falls festzustellen und damit die Tatsachenfeststellungen der ersten Instanz zu ersetzen. Allerdings sind die Kammern aber nicht verpflichtet, Tatsachen, die bereits durch die erste Instanz festgestellt worden sind, neu festzustellen (s. T 42/19, Nr. 3.3 der Gründe). Tatsächlich wird die Tatsachenfeststellungsbefugnis der Kammern weder durch das EPÜ noch durch Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer eingeschränkt. Auch ist die Befugnis der Beschwerdekammern zur Feststellung der maßgeblichen Tatsachen eines ihnen vorliegenden Falls nicht auf die von den Beteiligten beigebrachten Informationen oder die Feststellungen der ersten Instanz beschränkt.
Betrachtet man die bisherige Rechtsprechung, so wurde der Umfang der Befugnis der Beschwerdekammern in mehreren jüngeren Entscheidungen ausdrücklich thematisiert. Angestoßen wurde die "Debatte" durch T 1418/17 , die später von der Kammer in T 1604/16 zitiert wurde, die ihr jedoch nicht folgte, sondern befand, dass die Beschwerdekammern zu einer vollständigen Überprüfung angefochtener Entscheidungen befugt sind, so auch in rechtlicher und faktischer Hinsicht. Die Entscheidung T 42/19 brachte daraufhin die Grundsätze von T 1604/16, die bestätigt wurden, und von T 1418/17, die als wertvolle Orientierungshilfe (Liste "typischer Szenarien") betrachtet wurden, scheinbar miteinander in Einklang. In T 423/22 (Zeugenvernehmung per Videokonferenz) wurde der Ansatz aus T 42/19 bestätigt.
T 1138/20 stellte zudem fest, dass die Liste aus T 1418/17 nicht erschöpfend ist; da die Kammern über die uneingeschränkte Befugnis verfügen, Tatsachenfeststellungen zu überprüfen, besteht kein Grund, warum eine Kammer bei ihrer Überprüfung auf diese Kriterien beschränkt sein sollte. T 1138/20 verwies darauf, dass es noch andere Situationen gibt; eine Tatsachenfeststellung kann auch aufgehoben werden, wenn sie durch die vorliegenden Beweise nicht bestätigt wird.
ii) Zusammenfassung von verschiedenen seit T 42/19 ergangenen Entscheidungen zur detaillierteren Darstellung der Gründe
In T 42/19 wurden die in T 1418/17 aufgelisteten Überprüfungsfälle als wertvolle Orientierungshilfe angesehen, und T 1138/20 befand auch die in T 1418/17 identifizierten drei typischen Fälle für hilfreich. Da diese Liste etwa in T 42/19 aufgegriffen wurde, wird im Folgenden auf eine Zusammenfassung und Erörterung von T 1418/17 verzichtet. Wie in T 1138/20 bereits festgestellt, ist diese Liste nicht erschöpfend (Nr. 1.2.6 der Gründe mit Verweis auf T 1604/16 und T 42/19).
In T 42/19 fasste die Kammer im Orientierungssatz zusammen, inwieweit die Beschwerdekammern befugt sind, erstinstanzliche Entscheidungen in Bezug auf die Beweiswürdigung zu überprüfen:
"1. Die Befugnis einer Kammer, eine angefochtene Entscheidung zu überprüfen, ist nicht auf rechtliche Aspekte beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf tatsächliche Aspekte (in Übereinstimmung mit T 1604/16).
2. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Kammer jedoch nicht verpflichtet, alle Beweise erneut zu erheben, und die Beteiligten haben keinen Anspruch darauf, dass die Beweisaufnahme auf Antrag vor der Kammer wiederholt wird.
3. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung, dem zufolge es keine festen Regeln für die Beweiskraft der verschiedenen Beweisarten gibt, sondern es dem Spruchkörper obliegt, alle Beweise abzuwägen und seine Entscheidung dann darauf zu stützen, was er daraufhin als erwiesen ansieht, impliziert einen Freiraum, der mit dem von der Großen Beschwerdekammer G 7/93, Nr. 2.6 der Gründe genannten Freiraum vergleichbar ist."
(Zu dem in T 42/19 zitierten obiter dictum aus G 7/93 siehe aber T 1138/20, Nr. 1.2.4 a) der Gründe, wonach die Überprüfung eines Tatsachenfeststellungsverfahrens durch die Kammer nicht mit der Überprüfung von Ermessensentscheidungen im Sinne von G 7/93, Nr. 2.6 der Gründe vermengt werden darf.)
"4. Es empfiehlt sich daher, diesen Freiraum ebenso zu achten, insbesondere in Anbetracht dessen, dass eine Kammer, sofern sie nicht nur schriftliche Beweismittel überprüft, nicht denselben ersten Eindruck von der Beweiskraft eines Beweismittels hat wie ein erstinstanzlicher Spruchkörper, der einen Zeugen oder Sachverständigen selbst vernommen oder einen Gegenstand selbst in Augenschein genommen hat.
5. Auch wenn die Kammer in ihrer Entscheidung nicht eingeschränkt ist, erscheint es grundsätzlich sinnvoll, den Test aus T 1418/17, Nr. 1.3 der Entscheidungsgründe anzuwenden: Soweit kein Rechtsanwendungsfehler vorliegt (etwa ein falscher Beweismaßstab), sollte eine Beschwerdekammer die Beweiswürdigung eines erstinstanzlichen Spruchkörpers nur aufheben und durch ihre eigene ersetzen, wenn diese erkennbar: (i) wesentliche Gesichtspunkte nicht berücksichtigt hat, (ii) sachfremde Erwägungen mit einbezogen hat oder (iii) einen Verstoß gegen die Denkgesetze, etwa logische Fehler und Widersprüche in der Begründung, erkennen lässt.
6. Die Beweiswürdigung bezieht sich allein auf die Feststellung, ob eine behauptete Tatsache zur Überzeugung des Spruchkörpers bewiesen worden ist. Der einem Ermessensspielraum vergleichbare Freiraum ist auf diese Frage beschränkt und erstreckt sich nicht darauf, wie die festgestellten Tatsachen ausgelegt wurden und welche Rechtsfolgen sich daraus ergeben (Nrn. 3.2 bis 3.6 der Entscheidungsgründe)."
In T 42/19 hatte der Beschwerdeführer (Einsprechende) die Aufhebung der Entscheidung der Einspruchsabteilung angefochten, dass eine behauptete offenkundige Vorbenutzung einer Insulininjektionsvorrichtung mit der Bezeichnung GensuPen nicht ausgereichend bewiesen worden sei. Die Kammer verwies in den Entscheidungsgründen auf die im oben genannten Orientierungssatz formulierten Grundsätze und erklärte ebenfalls, dass die Kammern in der Regel nur die Art und Weise der Beweisaufnahme durch die erste Instanz überprüfen und das Recht, sofern sie keine Mängel feststellen, auf Grundlage der in den Entscheidungen festgestellten Tatsachen anwenden. Nachdem auch die Beschwerdekammern Spruchkörper sind, sind sie ebenfalls mit der Abwägung von Beweisen nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung betraut. Folglich ist nicht auszuschließen, dass eine Kammer zu einem anderen Ergebnis gelangt als das Organ, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Da die Kammer jedoch verpflichtet ist, ihre Entscheidung zu begründen, sollte sie überzeugend darlegen können, wo die zuständige Abteilung einen Fehler begangen hat. In dieser Hinsicht bietet der Test aus T 1418/17 eine wertvolle Orientierungshilfe. Im vorliegenden Fall war in der Begründung der ersten Instanz keiner der Sachverhalten zu finden, die eine Überprüfung rechtfertigen würden. Insbesondere war der Grundsatz des Abwägens der Wahrscheinlichkeit der richtige Maßstab bei der Beweiswürdigung. In Bezug auf die Zeugin S. fehlte jegliche relevante Information (etwa in welcher Eigenschaft sie im Sprechzimmer des medizinischen Zentrums vorstellig geworden war, unter welchen Umständen sie den GensuPen erhalten hatte, ob sie ein Mitglied der Öffentlichkeit war, warum sie noch am selben Tag eine sechs Jahre später verwendete Erklärung verfasste), was einen Schatten auf die Plausibilität ihrer Aussage warf und es für die Einspruchsabteilung rechtfertigte, die offenkundige Vorbenutzung selbst bei Anwendung des niedrigeren Maßstabs der Wahrscheinlichkeitsabwägung als nicht ausreichend bewiesen anzusehen, weil die Umstände nicht vollständig und klar dargelegt worden waren. An dieser unzulänglichen Sachlage änderte sich auch durch die neuen Ausführungen im Beschwerdeverfahren nichts wesentlich. Ohne diese grundlegenden Informationen war es unerheblich, ob der Beschwerdegegner (Patentinhaber) die Beweislast dafür trug, dass bestimmte an einer Studie teilnehmende Personen, wie Krankenhauspersonal oder Patienten, an eine Vertraulichkeitsvereinbarung gebunden waren. Die Kammer sah keinen Grund, die Entscheidung zur behaupteten Vorbenutzung des GensuPen aufzuheben, und bestätigte somit die Feststellung der Einspruchsabteilung. In Ausübung des Ermessens nach Art. 12 (4) VOBK 2007 entschied die Kammer ferner, den im Beschwerdeverfahren gestellten Antrag des Beschwerdeführers auf Anhörung einer weiteren Zeugin zur Schließung der von der Einspruchsabteilung festgestellten Lücken unberücksichtigt zu lassen, denn der Beschwerdegegner (Patentinhaber) hatte bereits im schriftlichen Einspruchsverfahren diesbezügliche Zweifel und Einwände erhoben.
Nachdem vorstehend bereits auf die Entscheidung T 1138/20 eingegangen wurde, sind nachfolgend nur noch einige zusätzliche Aspekte zusammengefasst. So stellte die Kammer in T 1138/20 fest, dass die Beschwerdekammern, wenn sich die Tatsachenfeststellungen der ersten Instanz auf Schriftstücke stützen, regelmäßig eine eigene Beweiswürdigung vornehmen. Bei einer Vernehmung von Beteiligten, Zeugen oder Sachverständigen (Art. 117 (1) a), d), e) EPÜ) oder einer Augenscheinseinnahme (Art. 117 (1) f) EPÜ) dagegen nehmen die Kammern in der Regel keine neue Beweiswürdigung vor, etwa durch erneute Vernehmung des Zeugen. In diesem Fall kann die Instanz, die die Zeugenvernehmung durchgeführt hat, die Beweiskraft der Beweismittel, insbesondere die Glaubwürdigkeit des Zeugen und die Zuverlässigkeit seiner Aussage (d. h. ihre Richtigkeit, etwa wie genau sich der Zeuge an die Ereignisse erinnert und sie wiedergibt), besser beurteilen. Die Kammern können dann der Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Spruchkörpers folgen. Außerdem erklärte die Kammer (Nr. 1.2.6 der Gründe), dass es für den Nachweis eines Fehlers in der Tatsachenfeststellung im Allgemeinen nicht ausreicht, im Beschwerdeverfahren vorzubringen, dass die aktenkundigen Beweismittel eine andere Schlussfolgerung zugelassen hätten und diese Schlussfolgerung ebenso wahrscheinlich, plausibel oder vertretbar gewesen wäre. Vielmehr muss der Beteiligte zum Nachweis eines Fehlers belegen, dass ein für die Tatsachenfeststellung zuständiges und angemessen handelndes Organ nicht zu dieser Schlussfolgerung gelangt wäre. In einem solchen Fall könnte die anfechtende Partei erfolgreich geltend machen, dass die erstinstanzliche Abteilung der Pflicht zur Begründung ihrer Tatsachenfeststellung nicht nachgekommen sei. Die Partei, die die Tatsachenfeststellung angreift, könnte einen Fehler in der Begründung der Einspruchsabteilung beanstanden. Die Kammer bestätigte ferner (Nr. 1.3.7 der Gründe), dass eine Tatsachenfeststellung auch aufgehoben werden kann, wenn die Tatsachenfeststellung der Einspruchsabteilung nicht durch aktenkundige Beweismittel gestützt ist, weil sich die Einspruchsabteilung z. B. allein auf eine Zeugenaussage zu einer Tatsache gestützt hat, zu der der Zeuge kein Zeugnis ablegen konnte oder nicht behauptet hat, Zeugnis ablegen zu können. Dies traf jedoch im vorliegenden Fall nicht zu.
iii) Frage der Überprüfung von Tatsachen in der übrigen Rechtsprechung
Bereits in der Rechtsprechung vor T 42/19 wurden Fälle behandelt, die sich mit der Überprüfung von Tatsachenfestellungen befassten. Beispielhaft dafür steht die nachstehend zusammengefasste Rechtsprechung.
In T 2565/11 hob die Beschwerdekammer die Beweiswürdigung der ersten Instanz mit der Begründung auf, dass sich die Einspruchsabteilung in Bezug auf die zugrunde liegenden Tatsachen geirrt und keine widerspruchsfreie Bewertung abgegeben hatte. Die Beschwerdekammer gab ihre eigene Beweiswürdigung in Bezug auf die maßgebenden Tatsachen ab. Außerdem stellte die Kammer fest, dass zusätzliche Erläuterungen, die ein Zeuge abgegeben hat, um eine potenzielle Lücke bei den aktenkundigen schriftlichen Beweismitteln zu schließen, nicht per se als neue Tatsachen betrachtet werden können. Anderenfalls wäre die Anhörung eines Zeugen bedeutungslos, und schriftlichen Beweismitteln würde ein höherer Beweiswert beigemessen als Zeugenaussagen; dafür ist im EPÜ keine Grundlage zu finden. Die Entscheidung T 2565/11 wird in T 2398/12 im Hinblick auf einen Gegenstand angeführt, der als Nachweis einer behaupteten offenkundigen Vorbenutzung vorgelegt wurde; dieser Gegenstand ging im Beschwerdeverfahren verloren, war aber bereits von der Einspruchsabteilung geprüft worden.
In T 1476/14 sah die Kammer im vorliegenden Fall keinen Grund, die von der Einspruchsabteilung vorgenommene Bewertung der Aussagen von zwei Zeugen zu revidieren. Die Glaubwürdigkeit der Zeugen kann nicht aufgrund von Abweichungen zwischen den Zeugenaussagen in Zweifel gezogen werden, die nicht den Kern, sondern untergeordnete Elemente der Vorbenutzung betreffen.
In T 1798/14 hatte die Einspruchsabteilung den Zeugen als glaubwürdig erachtet und seine Antworten insgesamt als detailgenau, glaubhaft und in sich widerspruchfrei bewertet. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hatte insoweit auch keine Bedenken vorgetragen; sie hatte lediglich bestritten, dass die Maschine, soweit sie vom Zeugen gesehen wurde, alle Anspruchsmerkmale aufwies. Die Kammer sah keinen Grund, von dieser Einschätzung abzuweichen und die Richtigkeit der Aussage von dem Zeugen zu bezweifeln. In T 544/14 wurde die Frage der Beweiswürdigung von der Kammer erneut eingehend diskutiert (erneute Vernehmung des Zeugen erforderlich, letztendlich aber nicht entscheidend – offenkundige Vorbenutzung nicht neuheitschädlich).
Die Kammer in T 621/14 stellte fest, dass das Beschwerdeverfahren nicht dazu dient, eine zweite Beweisinstanz zur Verfügung zu stellen, wenn nicht hinreichende Beschwerdeangriffe dazu Anlass bieten. Allein der Wunsch nach einer anderweitigen Beweiswürdigung führe nicht zu einem erneuten Eintritt in das Beweisverfahren bei der Beschwerdekammer. Die Kammer sah keine Veranlassung, von dem durch die Einspruchsabteilung anhand der Zeugenvernehmung ermittelten Stand der Technik abzuweichen.
In T 1107/12 stellte die Kammer fest, dass die Würdigung der Zeugenvernehmung des Dr. J. durch die Einspruchsabteilung keinerlei Zweifel an der Glaubhaftigkeit seiner Aussage oder an der Glaubwürdigkeit seiner Person ergeben habe. Die Beweiswürdigung sei ohne Rechtsfehler und unter Heranziehung der maßgeblichen Kriterien erfolgt, sei in allen Punkten nachvollziehbar und weise auch keine Denkfehler auf, sodass es nicht an der Kammer sei, ihre eigene Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen der Einspruchsabteilung zu setzen.
In T 804/92 (ABl. 1994, 862) hatte die Einspruchsabteilung den Inhalt einer Erklärung unter Eid in einer Mitteilung an die Parteien detailliert vorgegeben. Ein solches Vorgehen wurde von der Kammer nachdrücklich abgelehnt, weil es die Gefahr der Zeugenbeeinflussung in sich birgt und ernstliche Zweifel an der Beweiskraft derartiger Erklärungen wecken kann. Dies gilt für jede Instanz im Verfahren vor dem EPA.
Bei T 1604/16 handelt es sich um eine wichtige Entscheidung, die in T 42/19 und T 1138/20 bestätigt und aufgegriffen wurde, allerdings in Einklang gebracht mit T 1418/17. Auf eine Wiederholung der in T 1604/16 dargelegten Grundsätze und Gründe (insbesondere der Verweis auf Art. 12 (2) VOBK 2020) wird im Folgenden – insbesondere in Anbetracht von T 42/19 und T 1138/20 – verzichtet; es wird lediglich die Tatsachenwürdigung des Falls wiedergegeben. Diese Sache betraf eine faltbare Rampe zum Verladen eines Rollstuhls in ein Fahrzeug. Die Einspruchsabteilung hatte entschieden, dass eine Vorbenutzung der Erfindung vorlag. Ausgehend von E1, E1/1 (mit Fotografien) und der Zeugenaussage (einer Käuferin eines entsprechend ausgestatteten Fahrzeugs) hatte die Einspruchsabteilung ihre Entscheidung getroffen. Die der Kammer vorgelegten Beweismittel umfassten die Unterlagen E1, E1/1 und die Niederschrift über die Zeugeneinvernahme in der ersten Instanz. Die Glaubwürdigkeit der Zeugin stand außer Frage (siehe dazu im Allgemeinen T 474/04). Die Kammer sah keinen Grund, warum sie ihre Überprüfung durch eine Anwendung der in T 1418/17 aufgestellten Kriterien beschränken sollte. Da weiterhin gewisse Zweifel bestanden, die sich aus dem Inhalt der Niederschrift ergaben, befand die Kammer im vorliegenden Fall, dass die vorgelegten Beweismittel unzureichend waren und die Einspruchsabteilung somit fälschlicherweise entschieden habe, dass die in E1/1 abgebildete Rampe zum Stand der Technik gehöre. Siehe auch Kapitel V.A.3.2.1 "Vorrangiges Ziel des Beschwerdeverfahrens (Artikel 12 (2) VOBK 2020)".
T 1634/17 betraf eine flüchtige Offenbarung (D11). Die Kammer konnte der Einspruchsabteilung nicht folgen, die den Umfang und die Qualität aller vorgelegten Beweise, insbesondere die Zuverlässigkeit des Erinnerungsvermögens der Zeugin und die hohe Relevanz von D11, berücksichtigt hatte. Weder Umfang und Qualität all dieser Beweise noch die Zuverlässigkeit des Erinnerungsvermögens der Zeugin in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung waren von der Kammer zu beurteilen. Zwar könnte jeder dieser Beweise zur Stützung, Ergänzung, Auslegung oder Erläuterung einer zeitnah verfassten schriftlichen Notiz herangezogen werden, doch war keiner so verlässlich wie eine solche zeitnah verfasste Notiz selbst. Dass keine der aktenkundigen Erklärungen eine zeitnah, während des Vortrags von Dr. M. verfasste schriftliche Notiz war, hätte berücksichtigt werden müssen; dies hatte die Einspruchsabteilung versäumt. D11 gehörte nicht zum Stand der Technik.