1. Einleitung
Ein genereller Ausschluss von Erfindungen auf dem Gebiet der belebten Natur ist dem EPÜ nicht zu entnehmen (T 49/83, ABl. 1995, 545). In T 356/93 (ABl. 1995, 545) kam die Kammer zu dem Schluss, dass Samen und Pflanzen an sich nach Art. 53 a) EPÜ 1973 nicht allein deshalb von der Patentierbarkeit ausgenommen werden sollten, weil es sich um "lebende" Materie handelt oder weil das genetische Material von Pflanzen das "gemeinsame Erbe der Menschheit" bleiben sollte.
Nach der Rechtsprechung sind die Ausnahmen von der Patentierbarkeit eng auszulegen; zu Art. 53 a) EPÜ s. T 356/93 (ABl. 1995, 545) und T 866/01, aber auch T 1374/04 (ABl. 2007, 313); zu Art. 53 b) EPÜ s. T 320/87 (ABl. 1990, 71), T 19/90 (ABl. 1990, 476) und T 315/03 (ABl. 2006, 15); zu Art. 53 c) EPÜ (Art. 52 (4) EPÜ 1973) s. T 144/83, ABl. 1986, 301, T 385/86, ABl. 1988, 308 und G 1/04, ABl. 2006, 334).
Mit Rücksicht auf die ratio legis der jeweiligen Bestimmung führt diese enge Auslegung jedoch zu differenzierten Ergebnissen: Ein Anspruch, der Pflanzensorten/Tierrassen zwar umfasst, aber nicht individuell beansprucht, ist nach Art. 53 b) EPÜ nicht vom Patentschutz ausgeschlossen (G 1/98, ABl. 2000, 111; T 19/90, ABl. 1990, 476; T 315/03, ABl. 2006, 15). Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern fällt ein Verfahrensanspruch unter die Ausschlussbestimmung des Art. 53 c) EPÜ, wenn er auch nur ein Merkmal enthält, das eine physische Tätigkeit oder Maßnahme definiert, die einen Verfahrensschritt zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers darstellt (s. dieses Kapitel I.B.4.2). Hingegen sind zur Definition eines Diagnostizierverfahrens im Sinne von Art. 53 c) EPÜ wegen des spezifischen und zwangsläufig mehrstufigen Charakters eines solchen Verfahrens mehrere Verfahrensschritte erforderlich (G 1/04, ABl. 2006, 334). Nach T 19/90 geht es bei der Ermittlung des Gesetzeszwecks (ratio legis) nicht nur um die tatsächliche Absicht des Gesetzgebers im Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes, sondern darum, was er unter Berücksichtigung der seither eingetretenen Änderungen der Verhältnisse beabsichtigt haben könnte.