5. Feststellung von Unterschieden
Die Erfindung ist mit dem nach den oben beschriebenen Kriterien ermittelten Stand der Technik zu vergleichen, wobei für die Neuheitsprüfung von Bedeutung ist, dass der Vergleich jeweils nur mit einem einzigen Stück des Stands der Technik als Ganzes vorgenommen wird (vgl. T 153/85, ABl. 1988, 1; T 124/87, ABl. 1989, 491; T 233/90, T 904/91).
Nach gefestigter Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA sind bei der Beurteilung der Neuheit strenge Maßstäbe anzulegen, und der Inhalt einer Vorveröffentlichung ist bei Unklarheiten oder Zweifeln restriktiv auszulegen (vgl. T 447/92, T 988/95, T 722/00, T 1517/11).
In T 291/85 (ABl. 1988, 302) stellte die Kammer fest, dass zur Offenbarung eines vorveröffentlichten Dokuments nicht nur das gehört, was darin als Erfindungslehre beschrieben, sondern auch das, was darin als Stand der Technik referiert wird. Wenn es darum geht, bei der Neuheitsprüfung in eine ganz allgemein gehaltene Darstellung des Stands der Technik spezifische Ausführungen der im gleichen Dokument beschriebenen Erfindungslehre hineinzulesen, ist dies jedoch nur dann zulässig, wenn der fachmännische Leser dem Dokument eine solche Kombination tatsächlich entnommen hätte. Informiert eine Entgegenhaltung ausführlich über die Weiterentwicklung eines dort ohne Referenzangabe nur ganz allgemein dargestellten Stands der Technik, so ist es daher bei der Neuheitsprüfung unzulässig, diese allgemeinen Angaben mit solchen spezifischen Ausführungen zu kombinieren, die lediglich im Zusammenhang mit der Erläuterung zur Weiterentwicklung beschrieben sind, sofern ein Fachmann diese Kombination der Entgegenhaltung nicht entnommen hätte.
Im Verfahren T 288/90 hielt die Kammer fest, dass es zwar bei der Beurteilung der Neuheit in der Regel nicht zulässig sei, zwei Dokumente nebeneinander zu lesen, dass es aber zur Interpretation eines Einzeldokuments erforderlich sei, sich das allgemeine Fachwissen zu vergegenwärtigen und hierzu repräsentative Fachliteratur als Hilfsmittel zur korrekten Auslegung bestimmter Fachbegriffe heranzuziehen.
In T 56/87 (ABl. 1990, 188) betonte die Kammer, dass man die technische Lehre eines Dokuments als Ganzes betrachten muss, wie es der Fachmann ja auch tut; es ist nicht zulässig, willkürlich einzelne Teile herauszugreifen, um ihnen eine von der Gesamtlehre des Dokuments abweichende oder sogar im Widerspruch dazu stehende technische Information zu entnehmen. Ein technisches Merkmal, das aus den einer schematischen Darstellung entnommenen Abmessungen abgeleitet wird oder sich auf diese stützt und das technisch im Widerspruch zur Lehre der Beschreibung steht, gehört daher nicht zur Offenbarung des Dokuments (vgl. T 332/87, T 441/91, T 657/92).