5.4.4 Erfordernis eines Kontrollmechanismus
In J 9/86 meinte die Juristische Kammer, in einer großen Kanzlei, in der immer eine beträchtliche Anzahl von Terminen überwacht werden muss, kann in der Regel erwartet werden, dass zumindest ein wirksamer Kontrollmechanismus im System eingebaut ist (s. auch T 223/88, J 26/92, T 808/03 vom 12. Februar 2004 date: 2004-02-12, T 1149/11).
In T 828/94 stellte die Kammer fest, dass angesichts der Größe der Kanzlei des Vertreters ein angemessenes Überwachungssystem einen Kontrollmechanismus enthalten sollte; so könnte etwa jemand unabhängig vom Vertreter und dem Assistenten für die Kontrolle zuständig sein, ob eine Beschwerdeschrift erstellt und vorgelegt wurde, und darauf hinweisen, wenn nahe der Fälligkeit keine Daten zu einer solchen Beschwerdeschrift – oder zu einer Entscheidung, keine Beschwerde einzulegen – im Computersystem erfasst wurden. In T 257/07 betonte die Kammer, dass eine unabhängige Kontrolle zwangsläufig von einer anderen Person oder aber von einem automatischen System durchgeführt werden müsse, das eine andere Person warne (s. auch J 9/16 zur Bedeutung von "unabhängig"; T 76/17).
In T 686/97 vom 12. Mai 1998 date: 1998-05-12 entschied die Kammer, dass die Bereitstellung eines "redundanten" oder "absolut sicheren" Systems bei einer firmeneigenen Patentabteilung wesentlicher Bestandteil eines in der Regel gut funktionierenden Überwachungssystems sei. Dass versäumt worden sei, die zuständigen Patentvertreter auf administrativem Weg an die für die Einreichung von Beschwerdebegründungen geltenden Fristen zu erinnern, sei unvereinbar mit einem generell gut funktionierenden System.
In T 428/98 (ABl. 2001, 494) betonte die Kammer den Ausnahmecharakter der Wertung in den Sachen J 31/90 und T 166/87 vom 16. Mai 1988 date: 1988-05-16 (die Kontrollmechanismen in kleinen Kanzleien betrafen; s. nachstehendes Kapitel III.E.5.4.4 b)). Nach dem Vortrag des Beschwerdeführers sei die Kanzlei seiner Vertreter mit zwei zugelassenen Vertretern und zwei Rechtsanwälten, sowie je einem Patentassessor und einem Volljuristen besetzt, also mit sechs hauptberuflich tätigen Personen, die sich mit gewerbliche Schutzrechte betreffenden Verfahren befassten. Deren Bearbeitung sei regelmäßig fristgebunden, mit unmittelbaren negativen Rechtsfolgen für den Mandanten, wenn eine Frist nicht eingehalten werde. Der Fristüberwachung komme daher in einer solchen Kanzlei bedeutungs- wie umfangsmäßig großes Gewicht zu. Die Kammer hielt daher einen Kontrollmechanismus für notwendig. S. auch T 1962/08, T 1726/08 (eine Kanzlei mit 40 Anwälten an vier Standorten ist nicht klein), T 479/10.
In T 283/01 vom 3. September 2002 date: 2002-09-03 stellte die Kammer fest, dass das System des Antragstellers nicht zur Bearbeitung der vorliegenden Beschwerde geeignet war, die teilweise in die Zuständigkeit eines externen Vertreters fiel. Das Abweichen von der üblichen Art der Einreichung und Verfolgung einer Beschwerde beruhte auf der selbständigen Entscheidung des Antragstellers unter den besonderen Umständen des hier vorliegenden Falls. Unter Beachtung der nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt hätte ein eigener Überwachungsmechanismus eingerichtet werden müssen, der eine realistische Möglichkeit geboten hätte zu bemerken, dass die Frist für die Einreichung der Beschwerdebegründung nicht berechnet und notiert wurde, und dieses Versäumnis zu beheben.
T 261/07 betrifft einen Fall in dem ein zwischengeschalteter Zustelldienst im Geschäftsgebäude des Patentinhabers die Post in Empfang nahm und verteilte. Die Kammer stellte fest, dass kein wirksamer Kontrollmechanismus vorgesehen war. Ein sicheres System hätte einen regelmäßigen Abgleich der Datenbank in der Poststelle mit der Datenbank der zentralen IP-Abteilung vorsehen müssen, um Abweichungen feststellen zu können.
In T 1962/08 machte der Vertreter vor der Kammer geltend, dass das Vorhandensein einer unabhängigen Doppelkontrolle im Fristenüberwachungssystem keine Muss-Bestimmung sei. Die Kammer bestätigte T 428/98, wonach zu den Sorgfaltsanforderungen an ein Fristüberwachungssystem im Allgemeinen gehört, dass die Fristüberwachung nicht einer Person allein überlassen wird, sondern im gewählten System der Fristüberwachung ein genereller, von der für die Fristenkontrolle zuständigen Person unabhängiger Kontrollmechanismus eingebaut ist. Dieser Kontrollmechanismus kann innerhalb eines einzigen Systems der Fristüberwachung vorgesehen werden. Wird zur Realisierung des Kontrollmechanismus ein zweites System der Fristüberwachung eingerichtet, so muss dieses vom ersten unabhängig (teilweise als "redundant" bezeichnet) sein. S. auch T 1465/07, in der die Kammer die Auffassung vertrat, dass der Zusatzaufwand für eine unabhängige Gegenkontrolle bei einer großen Kanzlei nicht unangemessen ist, weil sich die Gegenkontrollen dort rationeller organisieren lassen als in einer kleinen Kanzlei. In T 1149/11 stellte die Kammer fest, dass die Sorgfaltspflicht hinsichtlich der Überwachung des Assistenten einen wirksamen Kontrollmechanismus erfordere, zumindest in einer Kanzlei, in der eine beträchtliche Zahl von Fristen zu überwachen sei.
Der Fall T 836/09 vom 17. Februar 2010 date: 2010-02-17 betraf ein einmaliges Versehen einer Hilfsperson in einem ansonsten zuverlässigen System zur Abwicklung des Postausgangs. Die Kammer stellte fest, dass in einem solchen Fall die Pflicht zur Durchführung mindestens einer in das System eingebauten wirksamen Kontrolle nicht gegeben war, unabhängig davon, ob es sich um eine große Firma handelte oder nicht. Dies gilt auch für wichtige Schreiben, deren unsachgemäße Behandlung den Verlust eines Rechts oder Rechtsmittels nach sich ziehen kann. Anders als bei der Fristenüberwachung ist das Risiko, dass es bei der Abwicklung des Postausgangs zu einem Versehen kommt, nämlich gering, weil diese im Allgemeinen aus einfachen Schritten besteht (mit Verweis auf T 178/07; s. auch T 1171/13 und T 2023/14 in Bezug auf den Versand einer Faxnachricht durch eine Hilfsperson).
Zur Notwendigkeit und Ausgestaltung eines unabhängigen Kontrollmechanismus s. auch T 1172/00, T 785/01 vom 30. September 2003 date: 2003-09-30, T 36/97, T 622/01, J 1/07, J 13/07.