2. Anwendbarkeit des Grundsatzes des Vertrauensschutzes
Overview
Das Prinzip des Vertrauensschutzes findet auf alle – auch die informellen – verfahrensrechtlichen Schritte Anwendung, die Bedienstete des EPA gegenüber Verfahrensbeteiligten unternehmen (T 160/92, ABl. 1995, 35; s. auch T 343/95, T 460/95 vom 16. Juli 1996 date: 1996-07-16; T 428/98, ABl. 2001, 494).
Es gilt sowohl für Ex-parte- als auch für Inter-partes-Verfahren (T 923/95).
Das EPA muss bei der Beachtung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes gegenüber allen Verfahrensbeteiligten – ob nun Anmeldern, Patentinhabern oder Einsprechenden – dieselben Maßstäbe anlegen (T 161/96, ABl. 1999, 331, s. auch J 12/94).
Der Grundsatz des Vertrauensschutzes gilt auch für Handlungen anderer Behörden, die in der internationalen Phase des Euro-PCT-Verfahrens tätig sind, so z. B. für die Handlungen des USPTO in seiner Funktion als Anmeldeamt oder als mit der internationalen vorläufigen Prüfung beauftragte Behörde (J 13/03). Auch auf nationale Behörden erstreckt sich der Vertrauensschutz, wenn sie europäische Patentanmeldungen bearbeiten, die bei ihnen gemäß Art. 75 (1) b) EPÜ eingereicht wurden (J 34/03). Er kann auch in Situationen gelten, in denen zwar keine falsche Auskunft des EPA vorliegt, aber ein Beteiligter infolge der Handlungen eines anderen Beteiligten falsche Auskünfte erhält, was zu demselben Ergebnis führt (s. T 353/18, in der der Beschwerdegegner versehentlich eine Reinschrift und eine mit Anmerkungen versehene Fassung des Anspruchs eingereicht hatte, die nicht übereinstimmten).
Der Grundsatz des Vertrauensschutzes schützt Beteiligte nur vor nachteiligen verfahrensrechtlichen Konsequenzen, die sich aus der Unterlassung von Verfahrensschritten aufgrund von Falschauskünften des EPA ergeben. Er hat keine Auswirkungen auf das materielle Recht und kann nicht patentierbar machen, was auch sonst nicht patentierbar wäre. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Auskünfte – auch wenn sie falsch sind – von einer Abteilung des EPA kamen, die für die Prüfung der Patentierbarkeit nicht zuständig war (T 2239/15).