3.4.1 Grundsätze zur Überprüfung erstinstanzlicher Ermessensentscheidungen
Nach T 1816/11 können die in der Entscheidung G 7/93 aufgestellten Grundsätze nicht zur Anwendung kommen, falls eine Ermessensentscheidung der Prüfungsabteilung, einen Antrag nicht zuzulassen, aus materiellrechtlichen Gründen und nicht aus verfahrensrechtlichen Gründen getroffen wurde (in diesem Sinne auch T 820/14, T 556/13 und T 971/11). Zur Überprüfung steht vielmehr die in die Ermessensentscheidung eingeflossene materiellrechtliche Wertung (Klarheit; erfinderische Tätigkeit usw.), die den Kern der Überprüfungskompetenz der Beschwerdekammern betrifft. In der vorliegenden Sache hatte die Prüfungsabteilung den Hauptantrag allein mit der Begründung nicht zum Prüfungsverfahren zugelassen, dieser erfülle nicht die Erfordernisse der Art. 84 und 56 EPÜ.
In T 2342/13 hatte die Prüfungsabteilung den Hilfsantrag nicht zugelassen, da prima facie keine erfinderische Tätigkeit vorliege. Dazu vertrat die Kammer die Auffassung, dass eine Frage, die direkt damit in Zusammenhang steht, ob ein Antrag einer Bestimmung des materiellen Patentrechts genügt, von der Kammer selbst geprüft werden müsse und es bei einem solchen Punkt keinen Spielraum dafür gebe, einfach die Meinung der ersten Instanz zu übernehmen (vgl. T 1816/11, ähnlich T 2343/13 und T 1159/13).
In T 1820/13 fügte die Kammer hinzu, dass eine Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung grundsätzlich nur eingeschränkt – das heißt nur auf Ermessensfehler – zu überprüfen ist. Allerdings darf dies nicht dazu führen, dass in die Ermessensentscheidung eingeflossene materiellrechtliche Fragen auf diesem Weg der Überprüfung durch die Beschwerdekammern entzogen werden. Hinsichtlich dieser Fragen, die den Kernbereich der Überprüfungskompetenz der Kammern ausmachen, haben diese vielmehr das ihnen durch Art. 12 (4) VOBK 2007 eingeräumte Ermessen selbst auszuüben (vgl. T 1816/11). Somit ist auch eine prima facie Bewertung bei der Überprüfung einer Ermessensentscheidung z. B. auf offensichtliche Fehler zu prüfen (s. auch T 1332/17).
In T 188/16 hatte die Einspruchsabteilung den zweiten Hilfsantrag nicht in das Einspruchsverfahren zugelassen, weil das geänderte Merkmal nicht den Erfordernissen des Art. 123 (2) EPÜ entsprach. Die Kammer wies darauf hin, dass in einem solchen Fall die Beschwerdekammer im Rahmen von Art. 12 (4) VOBK 2007 die in die Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung eingeflossene materiellrechtliche Wertung zu überprüfen hat.
In T 47/14 ging es um die Frage, ob die Einspruchsabteilung ihr Ermessen in unsachgemäßer Weise ausgeübt, weil sie die technische Relevanz eines Dokuments falsch beurteilt hatte. Die Kammer stellte fest, dass eine solche inhaltliche Überprüfung der Ermessenentscheidung jedenfalls dann möglich ist, wenn die Entscheidung der Einspruchsabteilung offensichtlich unzutreffend ist (vgl. T 109/08).