4.5.5 Einreichung neuer Anträge – außergewöhnliche Umstände bejaht
In T 1255/18 stellte die Kammer fest, dass, wie aus den Vorbringen des Beschwerdeführers (Anmelders) ersichtlich, die Einreichung der betroffenen Hilfsanträge nicht nur eine gerechtfertigte, sondern auch eine fristgerechte Erwiderung auf den zusätzlichen Einwand nach Art. 76 (1) EPÜ darstellte, der von der Kammer in der Mitteilung nach Art. 15 (1) VOBK 2020 erhoben wurde. Die in diese Hilfsanträge aufgenommene Änderung sei nicht über die Änderung des Merkmals hinausgegangen, dessen Vorhandensein in den höherrangigen Anträgen von der Kammer neu beanstandet worden war. Die Kammer bejahte außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 13 (2) VOBK 2020, wodurch die Berücksichtigung der neu eingereichten Hilfsanträge gerechtfertigt war.
Im Ex-parte-Verfahren T 2351/17 berücksichtigte die Kammer für die Feststellung außergewöhnlicher Umstände sowohl, dass sie in ihrer vorläufigen Auffassung einen neuen Einwand gemäß Art. 123 (2) EPÜ erhoben hatte, als auch dass die durchgeführten Änderungen als Ziel hatten, diesen Einwand zu überwinden und zu keinen neuen Einwänden führten.
Für weitere Ex-parte-Fälle, bei denen die Kammer erstmals in ihrer vorläufigen Einschätzung einen Einwand erhoben hatte und dies (teilweise zusammen mit der Tatsache, dass die Reaktion auf diesen Einwand angemessen war) als außergewöhnliche Umstände betrachtete, siehe z. B. T 2010/15 (neuer Klarheitseinwand und Einwand gegen die erfinderische Tätigkeit), T 2461/16 (neuer Klarheitseinwand), T 1609/16 (neuer Klarheitseinwand), T 1870/15 (Hilfsanträge mit dem Ziel, neuen Klarheitseinwand auszuräumen), T 2429/17 (neue Einwände nach Art. 84 EPÜ und Art. 123 (2) EPÜ), T 2214/15 (redliche Reaktion auf neue Einwände mangelnder Stützung durch die Beschreibung), T 1166/18 (gerechtfertigte Reaktion auf Einwände nach Art. 84 EPÜ und Art. 123 (2) EPÜ), T 428/18 (erster, zweiter und dritter Hilfsantrag waren legitime Versuche, neue Einwände nach Art. 84 EPÜ und Art. 123 (2) EPÜ auszuräumen, und wurden eingereicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt) und T 545/18 (angemessene Reaktion auf erstmals in der Mitteilung nach Art. 15 (1) VOBK 2020 erhobenen Einwand nach Art. 123 (2) EPÜ).
Im Inter-partes-Verfahren T 1756/16 erhob die Kammer in ihrer Mitteilung nach Art. 15 (1) VOBK 2020 ex officio erstmals einen Klarheitseinwand gegen den mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsantrag 1. Diesen Einwand behob der Beschwerdegegner (Patentinhaber) mit dem während der mündlichen Verhandlung eingereichten "neuen Hilfsantrag 1", der lediglich eine geringfügige Änderung enthielt (Tiefstellung der Indizes der Intensitätsmerkmale "I44" und "I45"). Nach Auffassung der Kammer stellte der von ihr erhobene Einwand außergewöhnliche Umstände dar, die die Einreichung des Hilfsantrags zu diesem Zeitpunkt rechtfertigten. Siehe auch T 1771/17 (in der vorläufigen Einschätzung der Einspruchsabteilung erhobener Einwand hatte keinen Niederschlag in der angefochtenen Entscheidung gefunden und war damit nicht Teil des Beschwerdeverfahrens, bis er in der vorläufigen Einschätzung der Kammer angeführt wurde).
In der Sache T 1224/15 hatte der Beschwerdeführer (Patentinhaber) seinen neuen Hilfsantrag 3 in Reaktion auf einen von der Kammer in ihrer vorläufigen Stellungnahme erhobenen Einwand nach Art. 123 (2) EPÜ eingereicht. Der Beschwerdegegner (Einsprechende) machte geltend, dass dieser Einwand bereits in seiner Antwort auf die Beschwerdebegründung enthalten sei. Die Kammer stellte jedoch fest, dass der Beschwerdegegner diesbezüglich lediglich auf die Einspruchsschrift verwiesen habe und nicht, wie in Art. 12 (2) VOBK 2007 verlangt, den Argumenten, die der Entscheidung zugrunde lagen, entgegengetreten sei. Dieser Einwand wurde daher nicht berücksichtigt (Art. 12 (4) VOBK 2007). So betrachtete die Kammer die fragliche Änderung im Hilfsantrag 3 als direkte Reaktion auf die vorläufige Einschätzung der Kammer. Da diese Änderung (Streichung eines abhängigen Anspruchs) zudem keine neuen Einwände hervorrief und keine Änderung der zur Stützung der Gründe der unzureichenden Beschreibung und der fehlenden Neuheit vorgelegten Argumente bewirkte, befand die Kammer diesen neuen Antrag für zulässig (Art. 13 (2) VOBK 2020).
Für weitere Inter-partes-Fälle, bei denen die Kammer in ihrer vorläufigen Einschätzung einen neuen Einwand erhob und den als Antwort darauf eingereichten Antrag zuließ, siehe T 1152/17 (direkte Reaktion auf neuen Aspekt bezüglich der Auslegung von Anspruch 1) und T 2091/18.
- T 916/21
Orientierungssatz:
Im vorliegenden Fall konnte von der Beschwerdeführerin nicht erwartet werden, auf einen einzelnen Aspekt einer in ihrer Gesamtheit nicht überzeugenden Argumentationslinie in der angefochtenen Entscheidung der Prüfungsabteilung mit auf diesen Aspekt gerichteten Änderungen, die alle Einwände der Beschwerdekammer ausräumen, bereits bei Einlegen der Beschwerde zu reagieren.
- T 2632/18
Catchword:
That a "new" objection was raised by a board in appeal proceedings cannot per se amount to "exceptional circumstances" within the meaning of Article 13(2) RPBA 2020 (see point 4.3 of the Reasons).
- T 1190/17
Catchword:
Le fait que la chambre ait retenu un argument nouveau (absence d'effet technique clairement identifiable) dans la chaîne argumentaire conduisant au constat provisoire d'absence d'activité inventive ne saurait être ignoré. Il justifie que les requêtes qui visent et se limitent à remédier à cette objection soient admises.
- Jahresbericht: Rechtsprechung 2022
- Zusammenfassungen der Entscheidungen in der Verfahrensprache