4.3.7 Vorbringen, das im erstinstanzlichen Verfahren vorzubringen gewesen wäre oder dort nicht mehr aufrechterhalten wurde – Artikel 12 (6) Satz 2 VOBK 2020
Dieser Abschnitt wurde aktualisiert, um die Rechtsprechung und Gesetzänderungen bis 31. Dezember 2023 zu berücksichtigen. Die vorherige Version dieses Abschnitts finden Sie in "Rechtsprechung der Beschwerdekammern", 10. Auflage (PDF). |
Die Wiedereinführung eines Gegenstands, auf dessen Überprüfung in erster Instanz bewusst verzichtet wurde, widerspricht dem in Art. 12 (2) VOBK 2020 normierten Zweck des Beschwerdeverfahrens als Überprüfungsinstanz. Entsprechende Anträge sind daher in der Regel nach Art. 12 (6) Satz 2 erster Halbsatz VOBK 2020 nicht zuzulassen (T 1456/20).
In T 1456/20 kam die Kammer zu dem Schluss, dass Hilfsantrag 7 (der einem mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsantrag entsprach) bereits im Verfahren vor der Einspruchsabteilung vorzubringen gewesen wäre. Der Neuheitseinwand, auf dessen Überwindung die Änderung in Hilfsantrag 7 abzielte, war bereits in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung behandelt worden. Der Patentinhaber hatte sich aber damals entschieden, den beanspruchten Gegenstand in eine bestimmte Richtung zu beschränken und damit bewusst auf die Prüfung eines Gegenstands, der in Hilfsantrag 7 wieder eingeführt wurde, verzichtet. Die Kammer befand, dass die Wiedereinführung dieses Gegenstands dem in Art. 12 (2) VOBK 2020 normierten Zweck des Beschwerdeverfahrens widersprach. Sie war nicht überzeugt vom Argument des Patentinhabers, dass das Bestreben, die Anzahl der Anträge im Einspruchsverfahren zu begrenzen, dieses Vorgehen rechtfertigen konnte. Die Tatsache, dass es sich bei den zusätzlichen Merkmalen um Merkmale erteilter Ansprüche handelte, war nach Ansicht der Kammer irrelevant.
In T 1116/20 hatte der Patentinhaber in der ersten Instanz nur die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung verfolgt und erst nach Verkündung der für ihn nachteiligen Entscheidung beantragt, einen neuen Hilfsantrag einzureichen. Die Kammer merkte dazu an, dass im Einspruchsverfahren Veranlassung und Möglichkeit bestanden hatten, einen Hilfsantrag vorzubereiten und vorzulegen. Der Patentinhaber hatte durch sein Verhalten letztlich eine Entscheidung der Einspruchsabteilung über Hilfsanträge verhindert. Es stand ihm aber nicht frei, seine Sache in die zweite Instanz zu verlagern.
Anders war die Situation in T 541/20, wo der Patentinhaber in Reaktion auf die Ladung mehrere Hilfsanträge einreichte, in denen drei abhängige Ansprüche gestrichen worden waren, diese Hilfsanträge in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung jedoch nicht aufrechterhielt. Sie wurden durch Anträge ersetzt, in denen die zuvor gestrichenen Ansprüche wieder enthalten waren. Die Kammer betonte, dass der Patentinhaber eine Entscheidung über die gestrichenen Ansprüche durch das Ersetzen der voherigen Anträge nicht vermieden hatte. Sie ließ daher drei im Beschwerdeverfahren eingereichte Anträge zu, in denen die abhängigen Ansprüche wieder gestrichen waren.
In T 1404/20 wurde der Hauptantrag (Patent wie erteilt) zurückgewiesen, das Patent aber in geänderter Fassung gemäß Hilfsantrag 0 aufrechterhalten, der in der mündlichen Verhandlung vorgelegt und dem Hilfsantrag 1 vorangestellt worden war. In der Beschwerde änderte der Patentinhaber die Reihenfolge und stellte Hilfsantrag 1 dem Hilfsantrag 0 voran. Die Kammer merkte dazu an, dass die ursprüngliche Reihenfolge aus eigener Veranlassung im Rahmen der dem Patentinhaber zustehenden Verfahrensdisposition bestimmt worden war. Dem Patentinhaber war dabei offenkundig gewesen, dass bei Erfolg des Hilfsantrags 0 keine Entscheidung zu Hilfsantrag 1 ergehen würde. Durch die Änderung der Reihenfolge ergab sich eine neue Antragslage, und eine Berücksichtigung des Hilfsantrags 1 im Beschwerdeverfahren unterlag nach Auffassung der Kammer den Voraussetzungen des Art. 12 (6) Satz 2 VOBK 2020. Ihrer Auffassung nach hätte der Hilfsantrag 1 bereits im Einspruchsverfahren wirksam zur Entscheidung gestellt werden müssen.
Weitere Entscheidung zum Thema "bewusster Verzicht auf die Prüfung eines Gegenstands" sind z. B. T 1326/21 (zusammengefasst in Kapitel V.A.4.3.7f) und T 921/21.