4.2.2 Zweite und dritte Stufe des Konvergenzansatzes: Änderungen des Beschwerdevorbringens im Sinne von Artikel 13 (1) und (2) VOBK 2020
In T 2988/18 stellte die Kammer fest, dass die VOBK 2020 keine Definition des Begriffs "Argument" enthält. In G 4/92 (ABl. 1994, 149) stellte die Große Beschwerdekammer Argumente Gründen oder Beweismitteln gegenüber und erklärte, Argumente seien "eine Untermauerung der bereits vorgebrachten Tatsachen und Rechtsgründe". Nach Ansicht der Kammer lasse dies die Frage offen, ob das vom Beschwerdeführer vorgebrachte Argument, welches sich auf die Auslegung von Art. 123 (2) EPÜ durch die Große Beschwerdekammer bezog, auch in den Anwendungsbereich von Art. 13 (2) VOBK 2020 falle. Die Kammer erläuterte, dass Argumente, die die Auslegung des Rechts betreffen, generell in jedem Verfahrensstadium zugelassen würden (mit Verweis auf deutsche und englische Rechtsquellen). Dies sei in den Erläuterungen zur VOBK 2020 bestätigt worden, wonach Ausführungen eines Beteiligten, die die Auslegung des Rechts betreffen, nicht als Änderung zu behandeln sind (siehe Zusatzpublikation 1, ABl. 2020, 190>178). Die Kammer schloss sich dieser Ansicht an. Sie stellte weiter fest, dass das Argument des Beschwerdeführers im Wesentlichen lautete, dass der in Leitsatz 2 von G 1/93 (ABl. 1994, 541) angeführte Grundsatz für den vorliegenden Fall gelte. Eben dies sei gemeint in der angeführten Textstelle der Erläuterungen zur VOBK 2020, denn bei einem Argument zur Auslegung des Rechts gehe es natürlich darum, wie diese Auslegung auf die Fakten des zu entscheidenden Falls angewendet wird.
In T 482/18 stimmte die Kammer der in T 1914/12 vertretenen Auffassung zu, wonach die Beschwerdekammern bei der Zulassung spät vorgebrachter Argumente, die sich auf bereits im Verfahren befindliche Tatsachen stützen, keinen Ermessensspielraum haben, insoweit zu als Art. 114 (2) EPÜ 1973 (identisch mit Art. 114 (2) EPÜ) keine Grundlage darstelle, um Argumente zurückzuweisen. Die Kammer fasste aber den Begriff "Argument" eng und setzte ihn mit Rechtsausführungen gleich.
In J 14/19 befand die Kammer, auf Grundlage von Art. 114(2) EPÜ könne verspätetes Vorbringen, das ein Tatsachenelement enthält, unberücksichtigt bleiben. Die Kammer erläuterte, dass der Begriff der "Argumente" in Art. 12 (2) VOBK 2020 so auszulegen sei, dass das Auslegungsergebnis im Einklang mit Art. 114 (2) EPÜ stehe. Ausführungen eines Beteiligten, die ausschließlich die Auslegung des EPÜ beträfen, enthielten kein Tatsachenelement. Derartige reine Rechtsausführungen fielen nach Ansicht der Kammer daher nicht unter den Begriff der "Argumente" in Art. 12 (2) VOBK 2020. Dieser Begriff beziehe sich vielmehr auf Ausführungen, die sowohl Rechts- als auch Tatsachenelemente enthielten. Dies sei insbesondere bei Fragen der Patentierbarkeit regelmäßig der Fall. Reine Rechtsausführungen bewirkten demnach, so die Kammer, auch keine Änderung im Sinne des Art. 12 (4) VOBK 2020. Im Ergebnis werde dies auch in den erläuternden Bemerkungen zu Art. 12 (4) VOBK 2020 bestätigt (CA/3/19, Nr. 54 und Abschnitt VI, Erläuterungen zu Art. 12(4) VOBK 2020). Dies gelte entsprechend für Art. 13 (1) und (2) VOBK 2020. Im vorliegenden Fall waren die fraglichen, erst nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung vorgebrachten Ausführungen des Beschwerdeführers nach Auffassung der Kammer entweder (i) eine Wiederholung oder Verfeinerung von bereits in der Beschwerdebegründung enthaltenen Ausführungen, (ii) Ausführungen, die ausschließlich die Auslegung von Bestimmungen des EPÜ betrafen oder (iii) Ausführungen zu deutschem Recht, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den in der Mitteilung nach Art. 15 (1) VOBK 2020 erstmals getätigten Aussagen der Kammer zum deutschen Recht standen. Die Ausführungen wurden daher von der Kammer gemäß Art. 13 (2) VOBK 2020 berücksichtigt.
- T 116/18
Catchword:
- Binding effect of a referring decision (see Reasons, points 9 to 9.4.5)
- Interpretation of order no. 2 of G 2/21 (see Reasons, points 10 to 11.14, in particular points 11.10 and 11.14)
- Submissions based on earlier decisions of the boards of appeal - admittance into the appeal proceedings (see Reasons, points 32 to 32.4, in particular point 32.3)
- Sammlung 2023 “Abstracts of decisions”