5. Mündliche Ausführungen einer Begleitperson
In den Entscheidungen G 2/94 (ABl. 1996, 401) und G 4/95 (ABl. 1996, 412) beantwortete die Große Beschwerdekammer die mit den Entscheidungen J 11/94 (ABl. 1995, 596) und T 803/93 date: 1995-07-19 (ABl. 1996, 204) vorgelegten Fragen, ob und ggf. unter welchen Umständen eine Person, die nicht zur Vertretung vor dem EPA zugelassen ist (d. h. eine Begleitperson), in der mündlichen Verhandlung nach Art. 116 EPÜ 1973 in einem Ex-parte- oder Inter-partes-Verfahren für einen Beteiligten mündliche Ausführungen zu rechtlichen oder technischen Fragen machen darf.
Laut G 4/95 besteht im Einspruchs- oder Einspruchsbeschwerde-verfahren kein Rechtsanspruch auf mündliche Ausführungen durch eine Begleitperson; diese dürfen nur mit Zustimmung der Kammer und nach ihrem Ermessen gemacht werden. Nach G 2/94 steht es im Ermessen einer Beschwerdekammer, einer Begleitperson in einer mündlichen Verhandlung in Ex-parte-Verfahren in Ergänzung des vollständigen Sachvortrags des zugelassenen Vertreters Ausführungen zu gestatten.
In G 4/95 stellte die Große Beschwerdekammer fest, dass die Bestellung eines zugelassenen Vertreters durch einen Beteiligten die Bevollmächtigung und Nennung der fachlich qualifizierten Person einschließt, die für alles, was dieser Beteiligte beim EPA vorbringt, verantwortlich ist. Dieser Vortrag des Falls eines Beteiligten stellt die Kernfunktion eines zugelassenen Vertreters im Sinne von Art. 133 EPÜ 1973 dar. In der mündlichen Verhandlung wird von einem zugelassenen Vertreter erwartet, dass er den vollständigen Fall des von ihm oder von ihr vertretenen Beteiligten vorträgt.
Was das Vorbringen von Tatsachen und Beweismitteln durch eine Begleitperson betrifft, so entschied die Große Beschwerdekammer, dass solche mündlichen Ausführungen, die über den umfassenden Vortrag des Falls des Beteiligten durch den zugelassenen Vertreter hinaus in der mündlichen Verhandlung gemacht werden, nach dem EPÜ nicht ausgeschlossen sind. Sie können nach dem allgemeinen Ermessen zugelassen werden, das das EPÜ dem EPA hinsichtlich des Vorbringens von Tatsachen und Beweismitteln einräumt.
Zu der Frage, ob eine Begleitperson in einer mündlichen Verhandlung mündliche Ausführungen in Form von Argumenten machen darf, erklärte die Große Beschwerdekammer, dass in Art. 133 EPÜ 1973 kein Unterschied zwischen schriftlichem und mündlichem Verfahren gemacht wird; somit ist ein zugelassener Vertreter für alle schriftlichen und mündlichen Ausführungen verantwortlich, die im Namen des Beteiligten, der ihn bestellt hat, gemacht werden.
Die Große Beschwerdekammer hat festgestellt, dass ein Rechtsanspruch auf solche mündlichen Ausführungen nicht besteht; sie dürfen nur mit Zustimmung des EPA und nach seinem Ermessen gemacht werden. Das EPA hat bei der Ausübung seines Ermessens folgende Kriterien zu berücksichtigen:
(i) Der zugelassene Vertreter muss beantragen, dass diese mündlichen Ausführungen gemacht werden dürfen. Im Antrag sind der Name und die Qualifikation der Begleitperson anzugeben und der Gegenstand der beabsichtigten mündlichen Ausführungen zu nennen.
(ii) Der Antrag ist so rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung zu stellen, dass sich alle Gegenparteien auf die beabsichtigten mündlichen Ausführungen angemessen vorbereiten können.
(iii) Ein Antrag, der erst kurz vor oder während der mündlichen Verhandlung gestellt wird, ist zurückzuweisen, sofern nicht außergewöhnliche Umstände vorliegen, es sei denn, alle Gegenparteien sind damit einverstanden, dass die beantragten mündlichen Ausführungen gemacht werden.
(iv) Das EPA muss davon überzeugt sein, dass die Begleitperson die mündlichen Ausführungen unter der ständigen Verantwortung und Aufsicht des zugelassenen Vertreters macht.