2.3. Vorlage durch eine Beschwerdekammer
Zulässig ist eine Vorlage nur, wenn sie entweder eine uneinheitliche Rechtsanwendung durch die Kammern oder eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung betrifft (s. dieses Kapitel V.B.2.3.7). Nach Art. 112 EPÜ gilt dies nicht nur für Vorlagen durch eine Kammer, sondern auch für Vorlagen durch den Präsidenten, wobei sich diese allerdings in jedem Fall auf "voneinander abweichende Entscheidungen" der Kammern beziehen müssen (s. dieses Kapitel V.B.2.4.3).
Nach T 154/04 (ABl. 2008, 46) ist eine Abweichung von der in einer anderen Beschwerdekammerentscheidung vertretenen Auffassung, oder eine Abweichung von nationaler Rechtsprechung für sich genommen kein hinreichender Vorlagegrund nach Art. 112 (1) a) EPÜ. Das Rechtssystem des EPÜ lässt Raum für die Fortentwicklung der Rechtsprechung, welche keine Präzedenzfälle nach angelsächsischem Verständnis begründet. In T 15/01 (ABl. 2006, 153) hielt die Kammer eine Vorlage an die Große Beschwerdekammer für nicht erforderlich, weil nur eine einzige frühere Kammerentscheidung von ihrer eigenen Schlussfolgerung zur Erschöpfung von Prioritätsrechten abwich. Auch in T 248/88 urteilte die Kammer, dass eine einzelne abweichende Entscheidung die Voraussetzungen des Art. 112 (1) a) EPÜ erfüllt.
In T 712/10 erklärte die Kammer, dass die Große Beschwerdekammer keine Befugnis zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung zwischen den Beschwerdekammern und den nationalen Gerichten hat. Eine zwischen den Beschwerdekammern und den nationalen Gerichten divergierende Rechtsanwendung könnte jedoch theoretisch auf eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung hinweisen.
In T 2477/12 stellte die Kammer fest, dass die Anwendung derselben Rechtsgrundsätze und Kriterien in verschiedenen Fällen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen könnte. Dies sei jedoch eine Folge einzelfallspezifischer Sachverhaltselemente und kein Hinweis auf eine widersprüchliche Auslegung oder eine uneinheitliche Rechtsanwendung.
In G 1/12 (ABl. 2014, A114) sah die Große Beschwerdekammer das Erfordernis der Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung als erfüllt an, weil in einigen Entscheidungen eine Beseitigung von Mängeln bei der Angabe des Namens des Beschwerdeführers gemäß R. 101 (2) EPÜ zugelassen wurde, während die Kammern in anderen Entscheidungen zu vergleichbaren Fällen R. 139 EPÜ anwendeten. Eine Minderheit der Mitglieder der Großen Beschwerdekammer war der Auffassung, dass dies lediglich zeige, dass nach der einheitlichen Rechtsprechung beide Verfahren verfügbar seien, solange die Beseitigung des Mangels nicht zu einer Änderung der wirklichen Identität des (ursprünglichen) Beschwerdeführers führe.