8.1. Neuheitskriterien für Ansprüche auf eine nicht medizinische Verwendung und Verfahrensansprüche, die ein Verwendungsmerkmal enthalten
Nach der langjährigen Praxis des Amtes ist eine Formulierung wie "Vorrichtung für" dahingehend auszulegen, dass damit eine Vorrichtung gemeint ist, die sich für die angegebene Verwendung eignet, s. zum Beispiel Richtlinien F‑IV, 4.13 – Stand März 2022 (T 1389/10). Wie in den Richtlinien erläutert wird, können beispielsweise im Fall einer Form für Stahlschmelzen mit der angegebenen Verwendung bestimmte physische Beschränkungen (Form, Material) einhergehen, ohne die die Vorrichtung nicht für diesen Zweck verwendet werden könnte. Somit ist eine Vorrichtung aus dem Stand der Technik, die zusätzlich zu den im Anspruch ausdrücklich genannten Merkmalen auch diese impliziten physischen Merkmale aufweist und daher vernünftigerweise für den angegebenen Zweck genutzt werden kann, für die beanspruchte Vorrichtung neuheitsschädlich. Dies gilt unabhängig davon, ob die angegebene Verwendung bzw. der angegebene Zweck im Stand der Technik erwähnt wird und ob die angegebene Verwendung naheliegend ist. Der Grund ist darin zu sehen, dass der Anspruch auf die Vorrichtung und nicht auf ihre Verwendung gerichtet ist. Ebenso wenig kann die Angabe einer neuen und nicht naheliegenden Verwendung eine bekannte Vorrichtung neu und erfinderisch machen.
Der Entscheidung T 215/84 zufolge vermag die Erkenntnis, dass die bekannte Vorrichtung in einer neuen Weise verwendet werden könnte, der Sache selbst nicht zur Neuheit zu verhelfen.
In T 523/89 war in einer bestimmten Vorveröffentlichung ein Behälter offenbart, der alle Strukturmerkmale des in Anspruch 1 des Streitpatents definierten Behälters aufwies. In der Entgegenhaltung D1 fehlte lediglich die Angabe, dass der offenbarte Behälter für Speiseeis verwendet werden sollte. Die Kammer wies darauf hin, dass die Frage, wann ein Anspruch, der auf einen Gegenstand für eine bestimmte Verwendung gerichtet ist, als vorweggenommen gilt, in den Richtlinien behandelt wird (Richtlinien F‑IV, 4.13 – Stand März 2022); die dortigen Ausführungen stellen klar, dass die Angabe der Zweckbestimmung – außer bei der medizinischen Verwendung bekannter Stoffe – nur in dem Sinne als Einschränkung anzusehen ist, dass der Gegenstand für diesen Zweck geeignet sein muss. Somit ist die Offenbarung eines gleichwertigen Gegenstands ohne Angabe des beanspruchten Verwendungszwecks, für den sich der Gegenstand aber dennoch eignet, für einen Anspruch neuheitsschädlich, der diesen Gegenstand für den betreffenden Verwendungszweck postuliert. Die Kammer sah keine Veranlassung, von diesem in den Richtlinien verankerten allgemeinen Auslegungsgrundsatz abzuweichen.
Im Verfahren T 15/91 bestätigte die Kammer die Rechtsprechung der Beschwerdekammern, wonach die Erkenntnis, dass eine bekannte Vorrichtung in einer bisher nicht beschriebenen Weise verwendet werden kann, nicht die Neuheit dieser Vorrichtung begründet, wenn die bisher unbekannte Verwendung keine Änderung in der technischen Realisierung der bekannten Vorrichtung erforderlich macht (s. T 523/89).
In den Entscheidungen T 303/90 und T 401/90 bezogen sich die Hauptansprüche auf eine empfängnisverhütende Zusammensetzung aus als Arzneimittel bekannten Verbindungen. Die Kammer war der Auffassung, dass die beanspruchte Zusammensetzung nicht als neu betrachtet werden könne und dass der Zusatz "empfängnisverhütend" den Erzeugnisanspruch noch nicht zu einem Verwendungsanspruch mache. Nur im Fall einer ersten medizinischen Indikation könne die Hinzufügung eines Zweckmerkmals einem Erzeugnisanspruch Neuheit verleihen, auch wenn das Erzeugnis als solches aus anderen technischen Gebieten bekannt sei (s. auch T 1200/03).
In T 637/92 wurde festgestellt, dass nach ständiger Rechtsprechung die Angabe der Zweckbestimmung einer beanspruchten Vorrichtung (oder eines Erzeugnisses) dahin gehend auszulegen ist, dass diese Vorrichtung für den angegebenen Zweck geeignet ist, und dass eine bekannte Vorrichtung, die einem anderen Zweck dient, jedoch sonst alle im Patentanspruch aufgeführten Merkmale besitzt, den Gegenstand des Patentanspruchs nicht neuheitsschädlich vorwegnimmt, wenn die bekannte Vorrichtung für den im Anspruch genannten Zweck ungeeignet ist (s. auch T 287/86). Im vorliegenden Fall waren diese Voraussetzungen aber deshalb nicht erfüllt, weil die aus der Entgegenhaltung bekannte Vorrichtung ein Merkmal des Anspruchs 1 nicht aufwies.
In T 116/14 stellte die Kammer fest, dass die beanspruchten Merkmale der Vorrichtung in ihrem Zusammenwirken bereits die Eignung für den angegebenen Zweck ergeben müssen. Es darf dabei nicht auf nicht-beanspruchte Merkmale ankommen, auch wenn diese durch eine offene Anspruchsformulierung, z. B. unter Verwendung von Ausdrücken wie "umfassend" und "enthaltend", nicht ausgeschlossen sind. Ansonsten würde der Anspruch einen Klarheitsmangel aufweisen. Für die Prüfung, ob eine Entgegenhaltung ein mit Hilfe einer Zweckangabe formuliertes Merkmal ("Zweckmerkmal") offenbart, ergibt sich daraus, dass die Entgegenhaltung das Zweckmerkmal nur dann offenbart, wenn die Attribute der in der Entgegenhaltung beschriebenen Vorrichtung, welche mit den anderen (neben dem Zweckmerkmal) beanspruchten Merkmalen identifizierbar sind, in ihrem Zusammenwirken bereits die Eignung für den angegebenen Zweck ergeben.