2.2.2 Prüfung eines Einwandes nach Artikel 53 a) EPÜ
Die Kammer gelangte in T 315/03 (ABl. 2006, 15) zu dem Schluss, dass die in T 19/90 (ABl. 1990, 476) vorgesehene Prüfung im Falle der Genmanipulation von Tieren angemessen ist. Diese Prüfung unterscheidet sich in verschiedener Hinsicht von der Prüfung nach R. 23d d) EPÜ 1973 (R. 28 d) EPÜ), und zwar hauptsächlich dadurch, dass neben dem Leiden der Tiere und dem medizinischen Nutzen noch weitere Aspekte berücksichtigt werden können. Während bei der Prüfung gemäß R. 23d d) EPÜ 1973 nur die wie gering auch immer geartete Wahrscheinlichkeit eines Leidens der Tiere und die Wahrscheinlichkeit eines medizinischen Nutzens erforderlich sind, müssen die einzelnen Aspekte bei der Prüfung gemäß T 19/90 "sorgfältig gegeneinander abgewogen" werden. Dies lässt eindeutig eine Beurteilung des Leidens der Tiere, der Umweltrisiken und der Möglichkeit zu, Alternativen zu Tierversuchen einzusetzen.
Auch könnte ein breiteres Spektrum von Vorteilen für den Menschen in Betracht gezogen werden als der in R. 23d d) EPÜ 1973 angeführte medizinische Nutzen. Da die in T 19/90 vorgesehene Prüfung "im Wesentlichen" die Beurteilungsgrundlage darstellt, könnten zusätzlich weitere Argumente bezüglich der angemessenen Norm für die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten herangezogen werden; alle Argumente müssten aber durch Beweismittel belegt werden.
Die Kammer befand in T 315/03, dass die auf Nager gerichteten Ansprüche die Prüfung nach R. 23d d) EPÜ 1973 nicht bestanden und daher zurückzuweisen waren, weil bei Anwendung der Erfindung des Streitpatents auf diese generische Klasse von Tieren ein Leiden der Tiere verursacht würde, aber eine Wahrscheinlichkeit für die Erzielung eines medizinischen Nutzens nicht nachgewiesen war. Zu derselben Schlussfolgerung wäre sie bei der Prüfung eines Einwands nach Art. 53 a) EPÜ 1973 gelangt. Dagegen waren die Bedingungen beider Prüfungen erfüllt, nachdem die Erfindung auf Mäuse beschränkt worden war.