9.2. Der Aufgabe-Lösungs-Ansatz bei Mischerfindungen
In T 1543/06 stellte die Kammer fest, dass die bloße technische Implementierung eines ausgeschlossenen Gegenstands als solche keine erfinderische Tätigkeit begründen kann(s. auch T 1793/07, T 337/06, T 1225/10 unter Kapitel I.D.9.2.14). Die erfinderische Tätigkeit kann nur in der besonderen Art und Weise der Implementierung begründet sein. (T 859/07, T 414/12).
Im Rahmen des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes kann dies als fiktive technische Aufgabe formuliert werden, bei welcher der als solcher ausgeschlossene Gegenstand als zu erreichende Zielsetzung erscheint, s. T 641/00 (Leitsatz II). Ist der ausgeschlossene Gegenstand neu, impliziert eine derartige Aufgabenformulierung dem Anschein nach, dass er bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit als gegeben angesehen wird und diese somit an einem Punkt ansetzt, der eigentlich einen verborgenen Ausgangspunkt darstellt. Die Kammer sah in dieser Fiktion eine Konsequenz der systematischen Verwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit sowie der Notwendigkeit, zwischen ausgeschlossenem und nicht ausgeschlossenem Gegenstand zu differenzieren. Dies ändert jedoch nichts an der Grundprämisse, dass ein von der Patentierung ausgeschlossener Gegenstand nicht die einzige Grundlage für eine patentierbare Erfindung bilden kann. Bei Betrachtung der besonderen Art und Weise der Implementierung muss man sich auf die Frage konzentrieren, welche weiteren technische Vorteile oder Wirkungen sich aus den besonderen Merkmalen der Implementierung ergeben, die über die Wirkungen und Vorteile hinausgehen, die in dem ausgeschlossenen Gegenstand selbst liegen (T 336/07). Letztere sind allenfalls als Nebeneffekt der Implementierung anzusehen.
Die Kammer fuhr fort, dass das ausdrückliche Erfordernis eines "weiteren" technischen Effekts erstmals in der Entscheidung T 1173/97 (ABl. 1999, 609) für computerbezogene Erfindungen formuliert worden ist (s. auch T 935/97); derselbe Grundsatz gilt aber auch für andere Kategorien ausgeschlossener Gegenstände, denen irgendeine "technische" Wirkung eigen ist. Tatsächlich lassen sich leicht für praktisch alle ausgeschlossenen Gegenstände Wirkungen ausmachen, die diesen eigen sind und die man als technisch bezeichnen könnte, z. B. eine so einfache Wirkung wie eine Zeitersparnis bei ihrer Verwendung bzw. Ausführung. Deswegen muss betont werden, dass die "weitere" technische Wirkung nicht die Wirkung sein kann, die dem ausgeschlossenen Gegenstand selbst eigen ist (T 2449/10, T 1225/10, T 1547/09, T 1782/09, T 2127/09, T 1331/12). Die Betrachtung der spezifischen Implementierung muss außerdem vom Standpunkt des einschlägigen Fachmanns nach Art. 56 EPÜ erfolgen, der anhand des technischen Charakters der Erfindung zu bestimmen ist. Dies entspricht dem Ansatz nach T 928/03 (Nr. 3.2 der Gründe), wonach der tatsächliche Beitrag jedes Merkmals zum technischen Charakter jeweils durch Ausklammern seines nichttechnischen Inhalts geprüft wird. Somit muss ermittelt werden, inwiefern die kennzeichnenden Merkmale in Relation zu den durch sie erzielten Wirkungen zum technischen Charakter beitragen (T 1023/06, T 336/07 und T 859/07).
In T 1173/97 (ABl. 1999, 609) urteilte die Kammer, dass ein Computerprogrammprodukt nicht unter das Patentierungsverbot nach Art. 52 (2) und (3) EPÜ 1973 fällt, wenn es beim Ablauf auf einem Computer einen weiteren technischen Effekt bewirkt, der über die "normale" physikalische Wechselwirkung zwischen dem Programm (Software) und dem Computer (Hardware) hinausgeht (s. Nr. 9.4 der Gründe). Die Kammer stellte außerdem fest, dass der "weitere" technische Effekt ihres Erachtens aus dem Stand der Technik bekannt sein kann, solange es darum geht, den Umfang des Patentierungsverbots gemäß Art. 52 (2) und (3) EPÜ 1973 abzustecken. Die Ermittlung des technischen Beitrags, den eine Erfindung zum Stand der Technik leistet, ist daher eher ein probates Mittel zur Prüfung der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit als zur Entscheidung der Frage, ob das Patentierungsverbot nach Art. 52 (2) und (3) EPÜ greift (s. auch T 1461/12, T 556/14).
In T 928/03 befand die Kammer, dass bei angemessener Anwendung des COMVIK-Ansatzes dessen Zweck nicht aus dem Blick verloren werden darf: Einerseits soll damit sichergestellt werden, dass nichttechnische Aspekte das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit nicht stützen; andererseits sind bei der Beurteilung des Erfordernisses der erfinderischen Tätigkeit alle Merkmale zu berücksichtigen, die zu diesem technischen Charakter beitragen. In diesem Zusammenhang ist die Vorgabe einer Spielregel sorgfältig von deren technischer Implementierung zu unterscheiden (T 1461/12).
In T 1543/06 erklärte die Kammer, dass die bloße Umsetzung von Wirkungen, die dem ausgeschlossenen Gegenstand innewohnen oder aus der Umgehung der technischen Aufgabe resultieren statt zu einer technischen Lösung beizutragen, nicht als technische Wirkung bezeichnet werden kann (T 258/03).
In T 1755/10 wies die Kammer darauf hin, dass Art. 56 EPÜ 1973 vor dem Hintergrund des Art. 52 (1), (2) und (3) EPÜ einen nicht naheliegenden technischen Beitrag erfordert (s. z. B. T 641/00, ABl. 2003, 352; T 1784/06). Nichttechnische Aspekte können dieses Erfordernis nicht erfüllen. Da die allgemeine Zielsetzung des beanspruchten Verfahrens (die Ermittlung von Provisionen) im vorliegenden Fall nichttechnisch war, konnte das Softwarekonzept aus dieser Zielsetzung keinen (weiteren) technischen Charakter ableiten. Nach Auffassung der Kammer war tatsächlich überhaupt kein "weiterer" technischer Effekt gegeben. Sie stellte klar, dass die bloße Verwendung einer spezifischen Softwarelösung ohne irgendeinen anderen, potenziellen "weiteren" technischen Effekt keine technische Implementierung darstellt (die bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit hätte berücksichtigt werden müssen). Das häufig vorgebrachte, pauschale Argument, wonach eine modifizierte Software das Verhalten des Computers verändere und schon deshalb (eo ipso) als technisches Implementierungsmittel zu betrachten sei, ist unzulänglich. Somit erweiterte die Kammer in T 1755/10 die in T 1670/07 und T 1741/08 etablierten "Trugschlüsse" um einen "Softwareimplementierungs-Trugschluss". Die Kammer stellte außerdem fest, dass auch eine spezifischere Programmstruktur innerhalb des Datenmodells für sich genommen keine technische Implementierung darstellte, weil die angebliche technische Wirkung sich auf die allgemeine Beobachtung beschränkte, dass eine modifizierte Software zu einem veränderten Betrieb des Computers führt. Damit wurde nichts weiter gesagt, als dass die Software mit der Hardware interagiert, was nicht genügt, um einen "weiteren" technischen Effekt zu belegen. Folglich konnte auch die spezifischere Programmstruktur nicht in die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit einfließen.
In T 1834/10 urteilte die Kammer, dass die Kombination von zwei Arten von Nichterfindungen (Wiedergabe von Informationen, Computerprogramm) nicht ausreicht, um einen technischen Beitrag zu definieren (T 1755/10, "Softwareimplementierungs-Trugschluss").