2.6.3 Inhalt der Beschwerdebegründung
In den Entscheidungen T 213/85 (ABl. 1987, 482) und T 95/10 wird klargestellt, dass das Beschwerdeverfahren keine bloße Fortsetzung des Prüfungsverfahrens ist (im Einklang mit den Entscheidungen G 10/91, ABl. 1993, 420; G 9/92 date: 1994-07-14, ABl. 1994, 875 und G 4/93, ABl. 1994, 875), sondern ein eigenes Verfahren. Wenn der Anmelder in der Beschwerdebegründung nur die bereits in der Prüfungsphase vorgebrachten Argumente wiederholt, ohne auf die angefochtene Entscheidung einzugehen, missversteht er die Aufgabe der Beschwerdekammern: diese ist nicht in einer Neuauflage des Prüfungsverfahrens zu sehen, sondern in der Überprüfung von Entscheidungen der Prüfungsabteilungen ausgehend von den in der Beschwerdebegründung vorgebrachten Einwänden gegen die Entscheidung, die sich deshalb auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung stützen müssen.
Es ist ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern, dass sich eine für die Zulässigkeit einer Beschwerde ausreichende Begründung mit allen tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen muss (T 1904/14). Die Mindestanforderungen an eine Beschwerdebegründung sind nicht erfüllt, wenn sie sich nur mit einem von mehreren Zurückweisungsgründen auseinandersetzt (T 1045/02, T 473/09, T 231/14, T 2411/16, T 918/17, T 868/18). Als Zurückweisungsgrund ist jeder Grund zu verstehen, der unabhängig von den anderen in der Entscheidung genannten Gründen bei alleiniger Betrachtung geeignet ist, eine Zurückweisung zu rechtfertigen (T 231/14). In T 1904/14 stellte die Beschwerdekammer fest, dass dieser Grundsatz auch dann gilt, wenn die Begründung in der angefochtenen Entscheidung falsch oder widersprüchlich ist. Eine fehlerhafte, widersprüchliche oder unvollständige Entscheidung entbindet einen Beschwerdeführer nicht davon, sich in der Beschwerdebegründung mit solchen Mängeln auseinanderzusetzen. Eine hinreichende Beschwerdebegründung muss innerhalb der nach Art. 108 Satz 3 EPÜ vorgesehenen Frist für die Einreichung der Beschwerdebegründung erfüllt sein und kann nicht durch einen verspäteten Vortrag nachträglich geheilt werden.
Wenn mehrere voneinander unabhängige Gründe zu der Entscheidung geführt haben, die Patentanmeldung zurückzuweisen, und in der Beschwerdeschrift auf mindestens einen dieser Gründe nicht oder nicht hinreichend eingegangen wird, so kann die angefochtene Entscheidung in der Regel auch dann nicht aufgehoben werden, wenn die Kammer in ihrer Entscheidung dem Beschwerdeführer hinsichtlich sämtlicher in der Beschwerdeschrift erörterten Zurückweisungsgründe beipflichtet. Die Erfordernisse von Art. 108 und R. 99 (2) EPÜ sind nicht erfüllt (T 899/13).
Ein Zurückweisungsgrund kann entkräftet werden, indem man die Ansprüche ändert und erläutert, warum der Grund für die Zurückweisung nicht mehr zutrifft, oder indem man Argumente vorbringt, warum der Einwand, auf dem der Grund beruht, unrichtig ist (s. T 2022/16, T 305/11 und T 899/13).
Wird eine Anmeldung nach Art. 97 EPÜ 1973 und R. 51 (5) EPÜ 1973 (R. 71 (4) EPÜ) mit der Begründung zurückgewiesen, der Anmelder habe innerhalb der Frist nach R. 51 (4) EPÜ 1973 weder sein Einverständnis mit der für die Erteilung vorgesehenen Fassung mitgeteilt noch innerhalb dieser Frist Änderungen im Sinne von R. 51 (5) EPÜ 1973 vorgeschlagen, so ist eine Beschwerdebegründung unzulässig, die sich nur mit Fragen der Zulässigkeit und Gewährbarkeit neuer, zusammen mit der Begründung eingereichter Ansprüche befasst (T 733/98).
In den folgenden Fällen wurde die Beschwerde für unzulässig befunden: T 395/12 (die einzige Äußerung des Anmelders, die sich unmittelbar auf die angefochtene Entscheidung bezog, war, dass die Prüfungsabteilung "unrecht" habe, was allerdings nicht begründet wurde); T 1407/17 (die Beschwerdebegründung enthielt keinen Hinweis darauf, warum der Zurückweisungsgrund nach Art. 56 EPÜ nicht fundiert war).