5.13.1 Gerechtfertigte Reaktion auf Entscheidung der ersten Instanz
Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern zu Art. 114 (2) EPÜ gelten neue Tatsachen, Dokumente und Beweismittel als rechtzeitig vorgebracht, wenn das Vorbringen durch ein Argument oder einen Punkt eines anderen Beteiligten oder in der angefochtenen Entscheidung veranlasst wurde und unter den gegebenen Umständen nicht hätte früher vorgetragen werden können. Um den anderen Beteiligten jedoch ihr Recht, die neuen Beweismittel zu prüfen, nicht vorzuenthalten und die Kammer nicht an einer zügigen Verfahrensführung zu hindern, müssen derartige Tatsachen und Beweismittel eingereicht werden, sobald sie verfügbar sind und ihre Relevanz feststeht (T 201/92, T 951/91, ABl. 1995, 202; T 502/98; T 1421/05; T 730/07; T 320/08; T 976/10). Spätes Vorbringen ist an sich gerechtfertigt, wenn es sich als angemessene und alsbaldige Reaktion auf Vorgänge im bisherigen Verfahren darstellt (T 855/96). Spätes Vorbringen kann auch als Verstärkung der bisherigen Argumentation zulässig sein (T 561/89) und zur Belegung eines behaupteten allgemeinen Fachwissens verwendet werden, wenn dieses infrage gestellt wurde (T 106/97, T 1076/00).
In T 815/14 stellte die Kammer bei der Prüfung von Art. 12 (4) VOBK 2007 fest, dass dem im Einspruchsverfahren unterlegenen Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben werden sollte, die Lücken in seiner Argumentation durch Einreichung weiterer Beweise in der zweiten Instanz zu schließen (s. auch T 1146/06, T 406/09 und T 54/16; zur Rechtsprechung zu Art. 12 (4) VOBK 2007, s. Kapitel V.A.5.11.).
In T 1045/08 stellte die Kammer fest: Reicht eine Partei im Beschwerdeverfahren neue Anträge ein, so muss der anderen Partei Gelegenheit gegeben werden, darauf zu erwidern; dies schließt die Einreichung neuer Entgegenhaltungen ein, insbesondere, wenn einigen der in den Anträgen enthaltenen Anspruchsänderungen Merkmale zugrunde liegen, die der Beschreibung des Patents entnommen sind. In diesem Fall ist der Begriff "verspätet" zu relativieren, da die Dokumente nicht früher hätten eingereicht werden können, weil die betreffende Partei den Inhalt der künftigen Anträge der anderen Partei nicht kennen konnte.
Zum Erfordernis, wonach Dokumente, die als objektiv angemessene Reaktion auf die angefochtene Entscheidung eingereicht werden, auch (hinreichend bzw. prima facie) relevant für das Ergebnis der Beurteilung der Patentierbarkeit des beanspruchten Gegenstands sein müssen, siehe z. B. T 1817/15 und T 1380/04. S. auch Kapitel V.A.5.13.2 "Relevanz".