8.2.2 Mehrheitliche Rechtsprechungslinie
In diesem Unterabschnitt geht es um die Rechtsprechung nach T 1811/13, in der Entscheidungen zur Frage des Verhältnisses zwischen Art. 83 EPÜ und Art. 84 EPÜ erörtert werden. Ferner werden hier die (zurückgewiesenen) Anträge auf Befassung der Großen Beschwerdekammer mit dieser Frage behandelt.
In T 626/14 (Dicke des Faserverbundmaterials – Variabilität der Messung) legte die Kammer Wert auf die Feststellung, dass in T 1811/13 und T 647/15 (mit nahezu identischen Entscheidungsgründen hinsichtlich Art. 83 EPÜ) versucht wurde, die Art infrage zu stellen, in der Einwände nach Art. 83 EPÜ in Entscheidungen wie T 464/05 begründet wurden. Allerdings hoben T 1811/13 und T 647/15 selbst nur auf einen einzelnen Aspekt beispielsweise in T 464/05 ab, nämlich "den Schutzbereich des Anspruchs", ohne auf die Feststellungen in der Entscheidung hinsichtlich Art. 83 EPÜ einzugehen. T 1811/13 und T 647/15 gaben der Kammer keinen Hinweis darauf, dass T 626/14 Aussagen enthielt, die die Begründung in T 464/05 bezüglich Art. 83 EPÜ infrage stellten. S. auch T 250/15, in der festgestellt wurde, dass T 626/14 die Rechtsprechung nicht in Frage stellt. In T 250/15 wurde die Vorlage an die Große Beschwerdekammer zurückgewiesen. Die Kammer in T 250/15 war der Ansicht, dass T 626/14 und T 464/05 eine bestimmte Konstellation in einem bestimmten technischen Gebiet betrafen.
In T 646/13 beruhte der Antrag des Einsprechenden auf Befassung der Großen Beschwerdekammer auf einem angeblichen Widerspruch zwischen den Entscheidungen T 1811/13 und T 464/05 in Bezug auf Fragen der Klarheit der Ansprüche und der ausreichenden Offenbarung. Die Kammer kam zu dem Schluss, dass diese Fälle darin übereinstimmten, dass eine unklare Definition der Grenzen des Anspruchs Art. 84 EPÜ 1973 betrifft. Die Anwendung der in den Entscheidungen T 464/05 und T 1811/13 genannten Grundsätze würde im Fall von T 646/13 nicht zu anderen Ergebnissen führen. Von noch größerer Bedeutung ist, dass – wie in der Entscheidung T 1811/13 erläutert – die Entscheidung T 464/05 zudem Teil einer Rechtsprechungslinie der Jahre 2004 bis 2007 ist, der die Beschwerdekammern danach nicht mehr allgemein folgten. In den Beschwerdekammern herrscht derzeit eindeutig die Meinung vor, dass die Definition des "verbotenen Schutzbereichs" eines Anspruchs nicht im Zusammenhang mit Art. 83 EPÜ 1973 und Art. 100 b) EPÜ 1973 gesehen werden sollte; der angebliche Widerspruch zwischen den Entscheidungen T 464/05 und T 1811/13 besteht nicht. Die Entscheidungen stehen nicht im Widerspruch zueinander, sondern veranschaulichen vielmehr eine Weiterentwicklung der Rechtsprechung zu einer bestimmten Frage über einen längeren Zeitraum.