H. Auslegung des EPÜ
In G 2/07 (ABl. 2012, 130) stellte die Große Beschwerdekammer fest, dass es keinen Vertrauensschutz für die Annahme geben kann, dass die von einer Beschwerdekammer in einer Entscheidung vorgenommene Auslegung einer materiellrechtlichen Patentierbarkeitsvorschrift nicht im Nachhinein von der Großen Kammer revidiert wird, denn dies würde die Funktion der Großen Beschwerdekammer unterminieren. Das gilt insbesondere für Fragen, zu denen es keine umfangreiche, in sich geschlossene Rechtsprechung gibt, sondern – wie im vorliegenden Fall – nur eine sehr begrenzte Zahl von Einzelentscheidungen. In der Vergangenheit hat die Große Kammer eine Übergangsfrist eingeräumt, wenn sie durch ihre Entscheidung eine Änderung der ständigen Verfahrenspraxis herbeigeführt hat, mit der die Verfahrensbeteiligten nicht rechnen konnten. Aus dem oben genannten Grund aber wurde niemals Vertrauensschutz in Angelegenheiten gewährt, bei denen die Große Kammer über die richtige Anwendung, d. h. Auslegung des materiellen Patentrechts zu befinden hatte.
Die Stellungnahme G 3/19, mit der die in G 2/12 getroffene Auslegung des Art. 53 b) EPÜ aufgegeben wurde, gelangte zu dem Ergebnis, dass die neue (in G 3/19 getroffene) Auslegung nicht rückwirkend gilt.