3.4.2 Entwicklung der Rechtsprechung zur Überprüfung erstinstanzlicher Ermessensentscheidungen
In einigen Entscheidungen wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die Kammern im Rahmen von Art. 12 (4) VOBK 2007 grundsätzlich über ein eigenes Ermessen verfügen, Tatsachen, Beweismittel oder Anträge, die von der ersten Instanz im Rahmen einer korrekten Ermessensausübung nicht zugelassen wurden, im Beschwerdeverfahren zuzulassen.
In T 556/13 war die Kammer folgender Auffassung: Die Rechtsprechung ist nicht so zu verstehen, dass das den Beschwerdekammern nach Art. 12 (4) VOBK 2007 eingeräumte Ermessen so eingeschränkt ist, dass die Kammer einen Antrag, den die Einspruchsabteilung aufgrund einer korrekten Ermessensentscheidung nicht zum Verfahren zugelassen hat, generell für unzulässig halten muss. Somit ist nicht ausgeschlossen, dass eine Kammer einen Antrag angesichts der besonderen Tatsachen und Umstände des Einzelfalls nicht für unzulässig befindet, obwohl er von der Einspruchsabteilung zu Recht nicht zum erstinstanzlichen Verfahren zugelassen wurde. Dies kann z. B. der Fall sein, wenn die Kammer mit zusätzlichen Tatsachen und geänderten Umständen oder mit zusätzlichem Vorbringen eines Beteiligten im Beschwerdeverfahren konfrontiert ist. Ein weiteres Beispiel könnte sein, dass bereits die Begründung der angefochtenen Entscheidung weitergehende Gesichtspunkte enthält, als bei der Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung auf Nichtzulassung eines Antrags relevant waren (s. auch T 2136/16).
In T 945/12 verwies die Kammer auf Entscheidungen, denen zufolge eine Beschwerdekammer bei der Überprüfung von erstinstanzlichen Ermessensentscheidungen ihrerseits ihr Ermessen gemäß Art. 12 (4) VOBK 2007 unabhängig und unter angemessener Berücksichtigung des zusätzlichen Vorbringens des Beschwerdeführers ausüben muss. Dabei übt die Beschwerdekammer nicht das Ermessen der erstinstanzlichen Abteilung basierend auf der damaligen Sachlage nochmals aus, sondern berücksichtigt vielmehr zusätzliche Tatsachen und geänderte Umstände und macht von ihrem eigenen Ermessen nach Art. 12 (4) VOBK 2007 Gebrauch (s. auch T 2219/10 und T 971/11).