5.5.1 Sorgfaltspflicht des Anmelders
In J 5/94 hat die Juristische Kammer berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer ein nicht vertretener Einzelanmelder war, der weder mit den Erfordernissen des EPÜ im Einzelnen vertraut war noch über eine etablierte Büroorganisation verfügte, die besonders auf die Einhaltung von Verfahrensfristen ausgerichtet war. Die Kammer wies darauf hin, dass in einem solchen Fall nicht die gleichen Maßstäbe an die zu wahrende Sorgfalt angelegt werden können wie bei einem zugelassenen Vertreter oder der Patentabteilung eines Großunternehmens. S. auch T 1201/10 vom 28. Februar 2018 date: 2018-02-28.
Jedoch treffen auch den Einzelanmelder Sorgfaltspflichten im Verfahren. Deshalb hat ein Einzelanmelder, der sich nicht der Hilfe eines berufsmäßigen Vertreters bedient, sich im Rahmen seiner Möglichkeiten selbst darauf einzurichten, dass er die im Lauf des Erteilungsverfahrens notwendigen Handlungen ordnungs- und fristgemäß vornehmen kann, um Rechtsverluste zu verhindern. Er kann sich weder generell auf Rechtsunkenntnis berufen, noch darf er zumutbare Vorkehrungen zur Fristwahrung unterlassen (J 5/94, J 27/01, J 2/02, J 6/07, T 493/08, T 555/08, J 8/09, J 7/12, J 17/16).
In T 1444/15 stellte die Kammer fest, dass ein Anmelder, der die Dienste eines Zahlungsdienstleisters zur Überwachung der Fristen für die Jahresgebühren in Anspruch nahm, nicht als nicht vertretener Einzelanmelder anzusehen sei (s. auch T 1477/17).
In J 23/87 befand die Juristische Kammer, dass sich ein Anmelder bei Beachtung des in Art. 122 EPÜ 1973 verankerten Sorgfaltsgebots nicht gänzlich auf die in den verschiedenen Verfahrensabschnitten von den PCT-Behörden und vom EPA freiwillig gegebenen Auskünfte verlassen darf, wenn er über die Weiterverfolgung seiner Anmeldung entscheidet; vielmehr muss er dafür sorgen, dass er normalerweise in der Lage ist, die im PCT und EPÜ 1973 festgelegten Grundfristen einzuhalten, und zwar auch dann, wenn er diese Auskünfte verspätet oder gar nicht erhält.
In T 601/93 wusste der Beschwerdeführer nicht, dass innerhalb einer bestimmten Frist eine Beschwerdebegründung eingereicht werden musste. Nach Auffassung der Kammer war angesichts der unmissverständlichen Bestimmung in Art. 108 EPÜ 1973 ein Rechtsirrtum, der den Beschwerdeführer glauben machte, dass er dieses Erfordernis nicht erfüllen müsse, nicht mit der Beachtung der gebotenen Sorgfalt vereinbar.
Die Wiedereinsetzung in Disziplinar- und Prüfungsangelegenheiten betreffend, entschied die Kammer im Verfahren D 6/82 (ABl. 1983, 337), dass ein Rechtsirrtum, insbesondere ein Irrtum über die Vorschriften betreffend Zustellung und Fristberechnung, die Wiedereinsetzung in aller Regel nicht rechtfertigt. Die Beachtung "aller nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt" verlangt von Personen, die sich an Verfahren vor dem und beim EPA beteiligen, dass sie die Kenntnis der geltenden Verfahrensregeln erwerben.