3.4. Geheimhaltungsverpflichtung
In T 202/97 stellte die Kammer fest, dass ein mit einer Tagesordnung an Mitglieder einer internationalen Normenausschussarbeitsgruppe versandter Normungsvorschlag zur Vorbereitung einer Normensitzung gewöhnlich nicht der Geheimhaltung unterliegt und daher als der Öffentlichkeit zugänglich gilt. Auch wenn nur ein bestimmter Personenkreis zur Teilnahme an der Normensitzung eingeladen werde, bestehe die Aufgabe eines Normenausschusses gerade darin, mit der Fachwelt auf möglichst breiter Ebene abgestimmte, am aktuellen Stand der Entwicklung orientierte Vorschläge für die Normenweiterbildung zu erarbeiten. Dieses Ziel schließe eine Geheimhaltungsverpflichtung aus. Siehe auch T 2239/15 zur Frage der öffentlichen Zugänglichkeit der Dokumente D1 und D2, die nach Ansicht der Kammer in direktem Zusammenhang mit den Verfahren der MPEG zur Erarbeitung neuer Normen steht. Die Kammer entschied, dass im vorliegenden Fall keine Geheimhaltungssperre festgestellt werden konnte, da es keine ausdrückliche Geheimhaltungsvereinbarung gab. Die Arbeitsgruppe sei so klein gewesen, dass die ausdrückliche Unterzeichnung einer Geheimhaltungsvereinbarung möglich gewesen wäre, wenn der Wunsch nach "absoluter" Geheimhaltung (einer strikten Beschränkung auf die in den Sitzungen anwesenden Mitglieder der Gruppe) bestanden hätte.
Im Ex-parte-Fall T 1440/09 wurde vom Beschwerdeführer nicht bestritten, dass D1 vor dem frühesten Prioritätstag der Anmeldung im Internet verfügbar war. D1 war ein Beitrag, der beim Joint Video Team (JVT) zu dessen 15. Sitzung in Busan, KR eingereicht worden war, die mehrere Monate vor dem frühesten Prioritätstag stattfand. Die Kammer stellte ferner fest, dass keines der Dokumente in der Akte darauf hinwies, dass Beiträge zu JVT-Sitzungen auch nach dem jeweiligen Treffen geheim zu halten seien. Der Beschwerdeführer machte jedoch geltend, dass D1 vertraulich sei, weil es u. a. Zweck des "JVT Patent Disclosure Form" sei, den Einsender davor zu schützen, dass sein Beitrag zur JVT-Sitzung gegen seine eigene spätere Patentanmeldung angeführt werde. Die Kammer erklärte, dass der Standardvordruck "JVT Patent Disclosure Form" keinen expliziten Hinweis darauf enthielt, dass der technische Beitrag des zugehörigen Fachartikels vertraulich zu behandeln war. Der bloße Umstand, dass der Einsender des Beitrags D1 unter Punkt 2.0 des Formulars möglicherweise das Kästchen angekreuzt hat, dass ihm "keine erteilten, anhängigen oder geplanten Patente in Verbindung mit dem technischen Inhalt der Empfehlung, der Norm oder des Beitrags" bekannt waren, implizierte nicht, dass D1 von jeder Person, die dazu Zugang hatte, vertraulich zu behandeln war. Die Kammer stellte fest, dass im vorliegenden Fall D1 für die Anmeldung Stand der Technik nach Art. 54 (2) EPÜ 1973 bildete.
Die Entscheidung T 738/04 betraf Normierungsgremien, doch war die Frage der Vertraulichkeit letztendlich nicht entscheidend. Sie wird hier deshalb erwähnt, weil sie die Praxis dieser Gremien behandelt.
Diese Frage stellt sich auch im Rahmen des Art. 83 EPÜ (s. T 1155/12, T 1049/11).