6.6. Nacharbeitbarkeit ohne unzumutbaren Aufwand
Das Erfordernis der ausreichenden Offenbarung soll sicherstellen, dass der Fachmann die Erfindung ohne eigene Ermittlungen bzw. ohne unzumutbare Versuche wiederholen kann, und ist jedenfalls dann nicht erfüllt, wenn er die Erfindung nicht nach wenigen klärenden Versuchen zielsicher ausführen kann, hierzu vielmehr erst erfinderisch tätig werden muss (T 312/88, Nr. 3.3 der Gründe, T 516/99, Nr. 3 der Gründe).
Nach T 312/88 ist es der "Normzweck von Art. 83 EPÜ", sicherzustellen, "dass der Fachmann die Erfindung ohne eigene Ermittlungen oder unzumutbare Versuche wiederholen kann. Das Ausmaß zumutbarer Versuche ist jedenfalls dann überschritten, wenn damit die Lösung der bestehenden Aufgabe erst aufgefunden werden muss". Nicht überschritten ist es dagegen, wenn es um die Ermittlung der zahlenmäßigen Grenzen eines funktionell definierten Bereichs geht (T 312/88). Sie sollten rasch ein zuverlässiges Bild über die Herstellbarkeit der Produkte ergeben (T 475/88). Die mit der Streitanmeldung eingereichten Versuchsdaten müssen aber nicht eine genaue Wiedergabe der Ausführungsbeispiele des Patents sein, solange davon ausgegangen werden kann, dass die Versuche unter die Erfindung fallen (T 674/96).
Die Zumutbarkeit der Versuche bedeutet nicht, dass die Anmeldung dem Fachmann den besten und einfachsten Weg zu offenbaren hätte. Ein langer und beschwerlicher Weg, der aber eindeutig zum Erfolg führt, kann zumutbar sein (T 412/93).
Die Kammer in T 1133/08 stellte fest, dass bei der Vielzahl von Möglichkeiten für die Auswahl geeigneter Materialien, Dimensionierungen und Verfahrensparameter, die in dem sich auf Ausführungsarten beziehenden Beschreibungsteil lediglich angedeutet wurden, konkrete Angaben fehlten, die als mindestens ein Weg zur Ausführung der beanspruchten Erfindung im Einzelnen angesehen werden könnten. Dazu dienten im vorliegenden Fall die Versuche, nämlich Parameter und Bedingungen zu ermitteln, die das sinusförmige Profil ergeben. Nach T 312/88 in Verbindung mit T 68/85 und T 18/89 war daher das Ausmaß der Versuche überschritten. Bei einer Erfindung mit vielen Varianten erscheint es zunächst sehr wichtig, diese nicht nur anzudeuten, sondern möglichst viele detailliert zu beschreiben, um dem Fachmann zu vermitteln, dass die Erfindung in der ganzen beanspruchten Breite in die Tat umgesetzt werden kann. Im vorliegenden Fall war noch nicht einmal ein solcher Weg zur Umsetzung ersichtlich und auch nicht nachträglich aufgezeigt worden, z. B. anhand von Experimenten. Die Kammer analysierte auch T 14/83 im Vergleich mit T 412/93 (Gebiet der Gentechnologie).
In T 345/09 (Verfahren zur Herstellung eines Werkstücks mit sehr hohen mechanischen Eigenschaften) befand die Kammer, dass der Fachmann wegen des Fehlens relevanter Beispiele zu den für die Erfindung unerlässlichen mechanischen Eigenschaften eine Reihe von Versuchen durchführen müsste, um die Erfindung auszuführen. Die Kammer kam zu dem Ergebnis, dass angesichts der Anzahl der mechanischen Eigenschaften (mindestens acht) und Parameter (vierzehn) in Kombination mit den auf diese Parameter anzuwendenden Bereichen und den Wiederholungen von Versuchen – notwendig für einige dieser mechanischen Eigenschaften, die vor und nach der Härtung gewährleistet sein müssen –, welche allesamt zur Ausführung der Erfindung erforderlich sind, der Fachmann mit einem so umfangreichen Forschungsprogramm konfrontiert wäre, dass dies einen unzumutbaren Aufwand darstellen würde.