4.4.5 Wie Verfahren zur chirurgischen Behandlung dem Ausschluss vom Patentschutz nach Artikel 53 c) EPÜ entgehen
Die Beschwerdekammern haben in ihrer ständigen Rechtsprechung entschieden, dass ein Verfahren zum Betreiben eines Geräts nicht als ein Behandlungsverfahren im Sinne des Art. 52 (4) EPÜ 1973 (Art. 53 c) EPÜ) angesehen werden kann, wenn zwischen dem beanspruchten Verfahren und den Wirkungen des Geräts auf den Körper kein funktioneller Zusammenhang besteht (T 245/87, ABl. 1989, 171, T 789/96, ABl. 2002, 364). Besteht dagegen ein solcher funktioneller Zusammenhang, ist das Verfahren von der Patentierbarkeit ausgeschlossen (T 82/93, ABl. 1996, 274, T 1680/08, T 141/15). In T 1075/06 erklärte die Kammer, dass dieser Grundsatz, der ursprünglich für Geräte zur Verwendung bei einer therapeutischen Behandlung entwickelt worden ist (T 245/87, ABl. 1989, 171), von der Großen Beschwerdekammer sowohl für therapeutische als auch für chirurgische Behandlungen bestätigt worden ist (G 1/07).
Die Große Beschwerdekammer erklärte in G 1/07, ob ein beanspruchtes Verfahren lediglich den Betrieb eines Geräts ohne jeglichen funktionellen Zusammenhang mit den Wirkungen des Geräts auf den Körper betrifft, erfordert eine Bewertung aller technischen Umstände des Falls und muss daher im jeweiligen Einzelfall entschieden werden.
In T 1680/08 wurden ein nicht invasives Verfahren und eine nicht invasive Vorrichtung zur Optimierung der Beatmung atelektatischer Lungen als Verfahren zur therapeutischen Behandlung eingestuft, weil ein funktioneller und untrennbarer Zusammenhang zwischen dem beanspruchten Verfahren und einer künstlichen Beatmung des angeschlossenen Patienten bestand.
In T 44/12 stellte die Kammer Folgendes fest: Ob ein Verfahren als Verfahren zur therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers zu betrachten ist, bestimmt sich – so die Kammer – daran, ob ein funktioneller Zusammenhang oder ein direkter Einfluss des beanspruchten Verfahrens als solches auf eine bestimmte Therapie besteht, sodass der Arzt hier in seiner Therapiefreiheit behindert wird. Im vorliegenden Fall betraf der Gegenstand der Ansprüche nach Ansicht der Kammer lediglich den Betrieb eines Geräts und wies keinen funktionellen Zusammenhang mit den Wirkungen des Geräts auf den Körper auf.
In T 699/12 betraf die Erfindung ein Verfahren zur Überprüfung einer Strahlentherapievorrichtung. Die Kammer entschied, dass das beanspruchte Verfahren lediglich den technischen Betrieb der Vorrichtung betraf und keinen funktionellen Zusammenhang mit den Wirkungen der Vorrichtung auf den Körper aufwies. Ziel des beanspruchten Verfahrens war zwar die Überprüfung der tatsächlichen Strahlendosis, die der Patient erhalten sollte, gemessen wurde aber die von der Strahlenquelle abgegebene Dosis, und es wurde überprüft, ob die Strahlenquelle wie erwartet funktioniert. Das beanspruchte Verfahren umfasste keinen Schritt, der die tatsächliche Behandlung des Patienten beeinflusste. Der Arzt hatte also alle Freiheit, über die nächsten Schritte der Behandlung des Patienten zu entscheiden.
In T 944/15 betraf die Erfindung, so wie beschrieben, ein auf einem Computer ausgeführtes Datenverarbeitungsverfahren für die Steuerung eines Prozesses zur Überwachung der Position von mindestens einem Körperteil eines Patienten während einer Strahlenbehandlung. Die Kammer wies den Anspruch als medizinisches Verfahren zurück, obwohl dieser auf ein auf einem Computer implementiertes Verfahren beschränkt war. Sie erachtete nicht den beanspruchten Schutzumfang, sondern die entsprechende erfindungsgemäße Lehre als maßgebend für die Bestimmung, worin eine Erfindung besteht und ob eine beanspruchte Erfindung – für die Zwecke des Art. 53 c) EPÜ – lediglich den technischen Betrieb der Vorrichtung ohne einen funktionellen Zusammenhang mit den Wirkungen der Vorrichtung auf den Körper betrifft (G 1/07). Bezug nehmend auf G 1/07 befand die Kammer, dass das beanspruchte Verfahren nicht allein auf die Steuerung der Vorrichtung gerichtet war, denn die Lehre der Erfindung war ohne die Schritte der Initiierung der Überwachung und der Nutzung ihrer Ergebnisse nicht vollständig. Die Schritte mussten als Teil der erfindungsgemäßen Lehre angesehen werden, was bedeutete, dass im Anspruch ein nach Art. 53 c) EPÜ ausgeschlossenes Behandlungsverfahren definiert war.
- Sammlung 2023 “Abstracts of decisions”