BESCHWERDEKAMMERN
Entscheidungen der Technische Beschwerdekammern
Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.4.1 vom 23. August 2001 - T 789/96 - 3.4.1
(Übersetzung)
Zusammensetzung der Kammer:
Vorsitzender: | G. Davies |
Mitglieder: | U. G. O. Himmler |
| G. Assi |
Anmelder: ELA MEDICAL
Stichwort: Therapeutisches Verfahren/ELA MEDICAL
Artikel: 52 (4) EPÜ
Schlagwort: "Verfahren zur therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers - verneint"
Leitsatz
Ein am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommenes Verfahren mit Einsatz eines Herzschrittmachers, der eine therapeutische Wirkung erzielt, ist kein therapeutisches Verfahren im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ, wenn durch die Erfindung zwar das Verfahren weitergebildet wird, diese Weiterbildung aber nicht der Prävention oder Behandlung eines pathologischen Zustands dient.
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) legte mit einem am 14. Juni 1996 eingegangenen Schreiben Beschwerde ein gegen die am 12. April 1996 zur Post gegebene Entscheidung der Prüfungsabteilung, die Patentanmeldung Nr. 92 918 047.9 zurückzuweisen. Die Beschwerdegebühr wurde am 17. Juni 1996 entrichtet. Die Beschwerdebegründung ging am 7. August 1996 ein.
II. In ihrer Entscheidung war die Prüfungsabteilung zu dem Schluß gelangt, daß die Anmeldung nicht die Erfordernisse des Artikels 52 (4) EPÜ erfülle, insbesondere hinsichtlich ihrer Ansprüche 1 bis 37, die sich auf ein Verfahren zur Steuerung der Stimulationsenergie bei einem Herzschrittmacher beziehen.
III. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf der Grundlage der folgenden Unterlagen:
Hauptantrag:
- Ansprüche:
Anspruch 1 in der mit Schreiben vom 5. August 1996 eingereichten Fassung
Ansprüche 2 bis 5, 6 (S. 20), 37 (S. 28), 38 und 39 (S. 28) in der mit Schreiben vom 7. Februar 1996 eingereichten Fassung
Ansprüche 6 (S. 21), 7 bis 36, 37 (S. 27), 41 (S. 30), 42 bis 50 in der veröffentlichten Fassung
Ansprüche 39 (s. 29), 40, 41 (S. 29) in der mit Schreiben vom 17. Juli 1995 eingereichten Fassung
- Beschreibung:
Seiten 1, 4, 5, 7 - 11 und 13 - 18 in der veröffentlichten Fassung, Seiten 2, 2a und 6a in der mit Schreiben vom 17. Juli 1995 eingereichten Fassung
Seiten 3, 6, 12 und 19 in der mit Schreiben vom 7. Februar 1996 eingereichten Fassung
- Zeichnungen:
Blätter 1/6 - 6/6 in der veröffentlichten Fassung
Hilfsantrag:
- Ansprüche:
Ansprüche 38 bis 50 in der Fassung des Hauptantrags
- Beschreibung und Zeichnungen in der Fassung des Hauptantrags
IV. Anspruch 1 in der Fassung des Hauptantrags lautet wie folgt:
"1. Verfahren zur Steuerung der Stimulationsenergie eines Herzschrittmachers mittels einer Software, wobei ein Reizparameter gemessen wird, dadurch gekennzeichnet, daß
- ein in Abhängigkeit von der Stimulationsenergie variierender Reizparameter definiert wird,
- in einer Kalibrierungsphase die wesentlichen Merkmale des Reizparameters in Abhängigkeit von der Stimulationsenergie ermittelt werden,
- auf der Grundlage dieser Merkmale ein Referenzwert zur Bestimmung der Wirksamkeit der Stimulation definiert wird,
- in einer Schwellenwertbestimmungsphase ausgehend von dem Referenzwert der Reizschwellenwert ermittelt wird,
- und die Stimulationsenergie in Abhängigkeit von dem Reizschwellenwert ermittelt wird."
Anspruch 25 in der Fassung des Hauptantrags lautet wie folgt:
"25. Verfahren zur Steuerung der Stimulationsenergie eines von einem Herzschrittmacher erzeugten Impulses mit einer Amplitude und einer Breite, das folgende Schritte umfaßt:
- die endokavitäre Reaktion auf einen Impuls des Schrittmachers wird ermittelt,
- ein Reizparameter wird definiert, der in Abhängigkeit von der Stimulationsenergie variiert,
- eine Kalibrierungsphase wird vorgesehen, um die wesentlichen Merkmale des Reizparameters in Abhängigkeit von der im Anschluß an einen oder mehrere Stimulationsimpulse analysierten Antwort des Herzens zu ermitteln,
- ein Referenzwert wird definiert, um die Wirksamkeit der Impulse auf der Grundlage der für den Reizparameter ermittelten wesentlichen Merkmale zu bestimmen,
- eine Schwellenwertbestimmungsphase wird vorgesehen, um ausgehend von dem Referenzwert einen Reizschwellenwert zu ermitteln,
- und die Stimulationsenergie der in Abhänigkeit von dem ermittelten Reizschwellenwert erzeugten Impulse wird bestimmt."
Anspruch 26 in der Fassung des Hauptantrags lautet wie folgt:
"26. Verfahren zur Steuerung der Stimulationsenergie eines von einem Herzschrittmacher erzeugten Stimulationsimpulses mit einer stimulierenden Amplitude und Breite, gekennzeichnet durch folgende Schritte:
- die endokavitären Signale werden überwacht, die durch einen vom Schrittmacher erzeugten Stimulationsimpuls hervorgerufen werden, und ein die Antwort des Herzens widerspiegelnder Reaktionswert wird bereitgestellt,
- ein Reizschwellenwert wird definiert, der der Mindestenergie des Stimulationsimpulses entspricht, bei der ein gewünschter Wert für die Antwort des Herzens erreicht wird,
- die Energie des Stimulationsimpulses wird gesteuert, die dem definierten Reizschwellenwert entspricht,
- es wird festgelegt, daß ein Stimulationsimpuls wirksam ist, wenn der Wert für die Antwort des Herzens über dem definierten Reizschwellenwert liegt, bzw. unwirksam ist, wenn der Wert für die Antwort des Herzens unter dem definierten Reizschwellenwert liegt, und
- eine bestimmte Zahl von Stimulationsimpulsen hoher Energie wird erzeugt als Reaktion auf einen als unwirksam definierten Stimulationsimpuls."
Anspruch 38 in der Fassung des Hauptantrags bezieht sich auf eine Vorrichtung zur Steuerung der Stimulationsenergie eines Herzschrittmachers.
Die Ansprüche 2 bis 24, 27 bis 37 und 39 bis 50 in der Fassung des Hauptantrags sind abhängige Ansprüche.
V. Die Beschwerdeführerin argumentierte wie folgt:
Obwohl ein Herzschrittmacher seinem Wesen nach ein Verfahren zur Behandlung des menschlichen Körpers voraussetze, komme dem beanspruchten Verfahren zur Steuerung der Stimulationsenergie für sich genommen keine therapeutische Bedeutung zu. Durch das Verfahren werde eine technische Aufgabe gelöst, die darin bestehe, den Energieverbrauch der einzelnen Stimulationsimpulse zu senken, ohne sie unwirksam zu machen, und dadurch die Lebensdauer der Schrittmacherbatterie zu verlängern oder ihre Größe zu verringern. Diese Aufgabenstellung beziehe sich nicht auf eine therapeutische Wirkung. Insbesondere die Messung eines Reizparameters, also eines für die Stimulation bedeutungslosen elektrischen Signals, die Auswahl wesentlicher Merkmale des Reizparameters, die Berechnung eines Referenzwerts, die Ermittlung eines Reizschwellenwerts sowie der Stimulationsenergie seien Verfahrensschritte, die softwaregesteuert abliefen und nicht der Anwesenheit eines Arztes bedürften. Das Verfahren diene mitnichten der Stimulation des Herzens zu therapeutischen Zwecken.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Hauptantrag
Der Hauptantrag entspricht dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Antrag mit einem geänderten Anspruch 1. Abgesehen davon, daß bei der Definition der Verfahrensschritte nun die Passivform verwendet wird, unterscheidet sich der Anspruch 1 des Hauptantrags vom ursprünglichen Anspruch 1 lediglich durch Hinzufügung des Merkmals, daß die Steuerung "mittels einer Software" erfolgt. Dieses Merkmal ist auf Seite 17, Zeilen 12 - 19 der ursprünglichen Beschreibung offenbart. Der geänderte Anspruch 1 des Hauptantrags genügt somit den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ.
2.2.1 Gemäß Artikel 52 (4) EPÜ gelten Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers als nicht gewerblich anwendbare Erfindungen und sind damit von der Patentierbarkeit ausgeschlossen. Diese Ausschlüsse von der Patentierbarkeit werden in der Regel eng ausgelegt. Verfahren, die keine therapeutische Wirkung haben, sind daher nicht von der Patentierbarkeit ausgeschlossen (vgl. T 144/83, ABl. EPA 1986, 301, Nr. 3 der Entscheidungsgründe).
Diesbezüglich hat die Große Beschwerdekammer in ihrer Entscheidung G 1/83 (ABl. EPA 1985, 60, Nr. 22 der Entscheidungsgründe) ausdrücklich festgestellt: "Zweck von Artikel 52 (4) EPÜ ist es, ... die nicht-kommerziellen und nicht-industriellen Tätigkeiten auf dem Gebiet der Human- und Veterinärmedizin von patentrechtlichen Beschränkungen freizuhalten."
2.2.2 Die Prüfungsabteilung erachtete das beanspruchte Verfahren als ein Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers, weil es die Herztätigkeit stimuliere. Als Begründung führte sie an, daß das Verfahren darauf abziele, die Stimulationsenergie zu ermitteln, damit der Stimulationsimpuls seine Wirkung, nämlich eine erfolgreiche Stimulation des Herzens, entfalten könne. Für eine solche Stimulation des Herzens seien medizinische Kenntnisse erforderlich, also handle es sich um ein therapeutisches Verfahren.
Die Kammer kann sich dieser Argumentation der Prüfungsabteilung aus den folgenden Gründen nicht anschließen:
2.2.1 Zwar ist ein Verfahren unter Einsatz einer Vorrichtung, die auf das Herz einwirkt, prinzipiell als Therapieverfahren anzusehen, doch stellt im vorliegenden Fall das Verfahren gemäß Anspruch 1 nicht auf die Stimulation des Herzens ab, sondern ist vielmehr gerichtet auf die "Steuerung der Stimulationsenergie eines Herzschrittmachers", d. h. auf ein den Energieverbrauch eines Herzschrittmachers optimierendes Verfahren. Insofern treffen auf den vorliegenden Fall genau die Überlegungen der Entscheidung T 245/87 (ABl. EPA 1989, 171, Nr. 3.2.3 der Entscheidungsgründe) zu, wo ausgeführt wird: "Ein unter Artikel 52 (4) Satz 1 EPÜ fallendes Verfahren liegt also nicht vor, wenn zwischen dessen an einem Therapiegerät vorgenommenen Maßnahmen und der vom Therapiegerät auf den Körper ausgeübten therapeutischen Wirkung kein funktioneller Zusammenhang und somit keine physikalische Kausalität besteht."
2.2.2.2 Daß in dem Verfahren gemäß Anspruch 1 ein Reizparameter, ein Referenzwert und ein Reizschwellenwert definiert werden, macht das beanspruchte Verfahren nicht zu einem therapeutischen Verfahren. Diese Parameter werden mittels eines Programms ermittelt, das in den Herzschrittmacher eingegeben wird. In diesem Zusammenhang wurde in der Entscheidung T 426/89 (ABl. EPA 1992, 172) festgestellt: "Das Programmieren eines Herzschrittmachers stellt nämlich lediglich eine an einem Gerät durchgeführte Maßnahme dar, die zwar von einem Arzt im Rahmen der Ausübung der Heilkunde ausgeführt werden kann, an sich jedoch noch keine unmittelbare therapeutische Behandlung des menschlichen ... Körpers darstellt ..." (Nr. 3.2 der Entscheidungsgründe, Hervorhebung durch die Kammer hinzugefügt).
2.2.2.3 Ferner ist festzuhalten, daß bei dem Verfahren gemäß Anspruch 1 die vom Herzschrittmacher ermittelten Parameter nicht verwendet werden, um die Amplitude, die Stimulationsfrequenz oder eine andere unmittelbar auf das Herz einwirkende Größe zu steuern, so daß bei dem beanspruchten Verfahren ein entsprechender funktioneller Zusammenhang nicht vorhanden ist. Vielmehr wird gemäß dem beanspruchten Verfahren der Reizparameter ausschließlich genutzt, um die für die Stimulierung des Herzens erforderliche Energie zu minimieren, ohne jedoch die therapeutische Wirkung der Stimulierung positiv oder negativ zu beeinflussen. Insofern unterscheidet sich der vorliegende Fall entscheidend von dem Sachverhalt in T 82/93 (ABl. EPA 1996, 274), wo es darum ging, daß "die im Anspruch dargelegten Tätigkeiten oder Maßnahmen vielmehr darin [bestehen], daß mittels eines Druckmeßwerts, der an einer bestimmten Stelle des menschlichen Körpers abgeleitet wird, die Rate des Schrittmachers gesteuert wird, der zur Erzielung einer therapeutischen Wirkung auf den menschlichen Körper verwendet wird. [Es] besteht also in der vorliegenden Sache ein funktioneller Zusammenhang zwischen dem gemessenen Wert und der angewandten therapeutischen Behandlung" (Nr. 1.5 der Entscheidungsgründe, Hervorhebung durch die Kammer hinzugefügt).
2.2.2.4 Ein weiteres ausschlaggebendes Indiz, daß es sich beim vorliegenden Verfahren gemäß Anspruch 1 nicht um ein therapeutisches Verfahren handelt, ist die Tatsache, daß ein Patient, dem ein ausschließlich nach diesem Verfahren arbeitender Herzschrittmacher implantiert würde, sterben könnte, denn das erfindungsgemäße Verfahren wird nur in periodischen Abständen durchgeführt, z. B. alle 6 oder 24 Stunden, der Patient bedarf jedoch unter Umständen einer permanenten Stimulation seines Herzens. Darüber hinaus läuft dieses Verfahren vollautomatisch "mittels einer Software" und ohne jede Mitwirkung eines Arztes ab.
2.2.3 Zusammenfassend ist somit folgendes festzustellen: Ein am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommenes Verfahren mit Einsatz eines Herzschrittmachers, der eine therapeutische Wirkung erzielt, ist kein therapeutisches Verfahren im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ, wenn durch die Erfindung zwar das Verfahren weitergebildet wird, diese Weiterbildung aber nicht der Prävention oder Behandlung eines pathologischen Zustands dient. Die vorliegende Erfindung bezieht sich auf die Weiterbildung der technischen Abläufe eines Verfahrens mit dem Ziel, den Energieverbrauch eines Herzschrittmachers zu senken, dessen therapeutische Wirkung jedoch nicht vom Vorhandensein der beanspruchten Verfahrensabläufe abhängt. Daraus folgt eindeutig, daß das Verfahren gemäß vorliegender Erfindung keine therapeutische Wirkung auf den Körper ausübt und somit nicht unter Artikel 52 (4) EPÜ fällt.
2.2.4 Aus diesen Gründen genügt das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags den Erfordernissen des Artikels 52 (4) EPÜ. Derselbe Schluß gilt für die weiteren Verfahrensansprüche 25 und 26 des Hauptantrags.
3. Hilfsantrag
Nachdem dem Hauptantrag stattgegeben wird, kommt der Hilfsantrag nicht zum Tragen.
4. In der angefochtenen Entscheidung hat die Prüfungsabteilung lediglich entschieden, daß die Verfahrensansprüche die Voraussetzungen des Artikels 52 (4) EPÜ nicht erfüllen. Da die Kammer dem Beschwerdeführer nicht die Möglichkeit vorenthalten möchte, die noch offenen Fragen von zwei Instanzen beurteilen zu lassen, erscheint es ihr unter diesen Umständen angebracht, von ihrem Ermessen nach Artikel 111 (1) Satz 2, zweite Variante EPÜ Gebrauch zu machen und die Sache an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückzuverweisen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Vorinstanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.