2.6.1 Einführung eines neuen Anspruchs, eines relevanten Dokuments oder eines neuen Arguments
Overview
Erscheint es einer Einspruchsabteilung oder einer Beschwerdekammer gemäß Art. 114 (1) EPÜ erforderlich, neue Tatsachen oder Beweismittel, die erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegt wurden, zu berücksichtigen, so muss sie, wie in Art. 113 (1) EPÜ gefordert, den anderen Beteiligten zunächst Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu geben, bevor sie eine auf solche Tatsachen oder Beweismittel gestützte Entscheidung erlässt (G 4/92, ABl. 1994, 149; s. auch T 484/90, ABl. 1993, 448; zum verspäteten Vorbringen, s. T 330/88, T 356/94 und Kapitel IV.C.4. "Verspätetes Vorbringen neuer Dokumente, Angriffszüge und Argumente"). Derselbe Grundsatz wurde auch auf Entscheidungen von Einspruchsabteilungen angewandt (s. z. B. T 376/98). Der Anmelder hat nicht grundsätzlich Anspruch auf eine schriftliche Fortführung des Verfahrens; das rechtliche Gehör nach Art. 113 (1) EPÜ ist auch gewahrt, wenn dem Anmelder genügend Zeit gegeben wird, das Dokument zu prüfen und sich dazu zu äußern. Wie viel Zeit ausreichend ist, hängt von der Natur des neu eingeführten Dokuments und dem vorangehenden Verfahren ab (T 2434/09).
- T 1558/21
Catchword:
1. Entspricht der Antrag, der der Entscheidung der Einspruchsabteilung zugrunde liegt, zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht dem Willen einer Partei, so ist diese Partei beschwert und ihre Beschwerde gegen die Entscheidung zulässig (Punkt 1.1 der Entscheidungsgründe). 2. Die Kammer sieht es als erwiesen an, dass die Entscheidung der Einspruchsabteilung nicht auf der beabsichtigten Fassung des Hilfsantrags beruht, die in der mündlichen Verhandlung erörtert wurde. Im vorliegenden Fall hat die Einspruchsabteilung entweder über den falschen Antrag entschieden, der nicht dem Tenor der Entscheidung entspricht, oder aber über einen Antrag, zu dem die Parteien nicht gehört wurden. Beides stellt einen schwerwiegenden Verfahrensmangel dar, und daher ist die Entscheidung aufzuheben (Punkte 3.4 - 3.6 der Entscheidungsgründe). 3. Ein Fehler in einem während der mündlichen Verhandlung eingereichten Anspruchssatz, der Teil einer in der mündlichen Verhandlung verkündeten Entscheidung geworden ist, ist weder einer späteren Korrektur über Regel 140 EPÜ zugänglich, noch über Regel 139 EPÜ, sofern es ihm an der Offensichtlichkeit mangelt (Punkte 5.1 - 5.5 der Entscheidungsgründe).
- Sammlung 2023 “Abstracts of decisions”