4.3.6 Im erstinstanzlichen Verfahren nicht zugelassenes Vorbringen – fehlerhafte Ermessensausübung – Artikel 12 (6) Satz 1 VOBK 2020
Dieser Abschnitt wurde aktualisiert, um die Rechtsprechung und Gesetzänderungen bis 31. Dezember 2023 zu berücksichtigen. Die vorherige Version dieses Abschnitts finden Sie in "Rechtsprechung der Beschwerdekammern", 10. Auflage (PDF). |
Die Konvergenz (oder Divergenz) von Anträgen ist grundsätzlich ein akzeptiertes Kriterium für die Entscheidung über die Zulässigkeit von Anträgen nach R. 137 (3) EPÜ. Es gilt nicht nur für Sätze zusammen eingereichter Ansprüche, sondern auch in Bezug auf frühere Anträge (T 1411/21). In T 3097/19 betonte die Kammer (unter Berufung auf Art. 12 (2) und (4) VOBK 2007), dass die Nichtkonvergenz von Anträgen als solche kein ausreichender Grund für deren Nichtzulassung ist. Vielmehr muss begründet werden, dass und warum unter den konkreten Umständen des Einzelfalls nicht konvergente Anträge die Verfahrensökonomie beinträchtigen.
In T 714/20 pflichtete die Kammer der Prüfungsabteilung bei, dass im Falle einer unmittelbar bevorstehenden mündlichen Verhandlung zu Recht erwartet werden darf, dass die Ansprüche nachfolgender Anträge konvergent sind (im Sinne der in T 1134/11 aufgestellten Definition), sodass in der mündlichen Verhandlung eine gezielte Debatte stattfinden und innerhalb vertretbarer Zeit eine Entscheidung getroffen werden kann. Die Kammer fügte hinzu, dass je weniger ein neuer Anspruchssatz den Gegenstand eines vorangegangenen "näher definiert", sondern den Schwerpunkt der Debatte verschiebt, desto mehr ist die Zulassung der neuen Ansprüche der Verfahrensökonomie abträglich. Dies gilt nach Auffassung der Kammer umso mehr, je später die neuen Anspruchssätze eingereicht werden. Im vorliegenden Fall stellten die fraglichen Anträge zwei eindeutig unterschiedliche Änderungslinien dar (Hinzufügung von zwei unterschiedlichen Merkmalen zur Abgrenzung des Gegenstands des Anspruchs 1 vom Stand der Technik), mit denen versucht wurde, einen Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit auszuräumen.
Im Inter-partes-Verfahren T 2204/18 befand die Kammer (mit Verweis auf Art. 12 (4) VOBK 2007), dass die Einspruchsabteilung, die sich unter anderem auf das Konvergenzkriterium gestützt hatte, ihr Ermessen nach Maßgabe der richtigen Kriterien und in vertretbarer Weise ausgeübt hatte. In T 683/19 dagegen hob die Kammer (mit Verweis auf Art. 12 (4) VOBK 2007) eine auf mangelnde Konvergenz gestützte Entscheidung der Einspruchsabteilung auf, weil sie in dem betreffenden Antrag eine rechtzeitige und redliche Reaktion auf die Zulassung eines neuen Dokuments durch die Einspruchsabteilung sah.