4.4.3 Grenzen der Neuformulierung der technischen Aufgabe
Entsprechend der Rechtsprechung der Beschwerdekammern (s. in diesem Kapitel unter I.D.4.4.2) kann jede technische Wirkung der Erfindung als Grundlage für die Neuformulierung der technischen Aufgabe verwendet werden, sofern die entsprechende Wirkung aus der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung ableitbar ist.
Eine Neuformulierung der Aufgabe wird somit durch Art. 123 (2) EPÜ 1973 nicht ausgeschlossen, wenn die Aufgabe vom Fachmann unter Berücksichtigung des der Erfindung nächstliegenden Stands der Technik aus der Anmeldung in der eingereichten Fassung abgeleitet werden kann (T 13/84, ABl. 1986, 253; T 469/90; T 530/90; T 547/90; T 39/93, ABl. 1997, 134; T 375/93; T 687/94; T 877/06).
In T 818/93 wurde entschieden, dass es demnach ausreicht, wenn sich die neu formulierte Aufgabe später aus dem Vergleich der Anmeldung mit dem nächstliegenden Stand der Technik herleiten lässt. Da Merkmale aus den Zeichnungen rechtswirksam in die Ansprüche und zu deren Stützung auch in die Beschreibung aufgenommen werden dürfen (mit Verweis auf T 169/83, ABl. 1985, 193), können die mit diesen Merkmalen verbundenen Wirkungen und Vorteile auch als Grundlage für eine Neuformulierung der Aufgabe herangezogen werden, sofern der oben angesprochene Vergleich eindeutig auf diese Aufgabe schließen lässt.
In T 184/82 (ABl. 1984, 261) wurde die allgemeine Gültigkeit der Feststellungen in der Beschreibung und den Beispielen (Test mit heißem Speck) in Frage gestellt, die darauf hindeuteten, dass die spezielle Aufgabe durch die Erfindung erfolgreich gelöst worden war. Nach Meinung der Kammer hätte der Fachmann jedoch erkannt, dass die ursprüngliche Aufgabe durchaus im Zusammenhang mit dem allgemeineren Ziel einer Verbesserung der Hitze- und Lösungsmittelbeständigkeit von Stoffen steht, die für Behälter verwendet werden. Die Kammer erklärte in ihrem Leitsatz Folgendes: Statt eines Misserfolgs auf einer spezifischen Ebene kann zur Beurteilung der Wirkung einer Erfindung ein technischer Erfolg auf einer allgemeinen Ebene herangezogen werden, sofern für den Fachmann erkennbar ist, dass die Wirkung in der ursprünglich formulierten Aufgabe impliziert ist oder im Zusammenhang mit ihr steht. S. auch T 732/89, T 106/91, T 767/02.
In T 1422/12 war Anspruch 1 auf kristalline Formen von Tigecyclin gerichtet. Die vom Anmelder gewählte Formulierung der zu lösenden technischen Aufgabe lag somit im Rahmen der in der streitigen Anmeldung offenbarten Erfindung. Die Kammer stellte fest, dass sämtliche Wirkungen berücksichtigt werden dürfen, solange sie denselben Anwendungsbereich betreffen und das Wesen der Erfindung nicht verändern (s. T 440/91). Dass eine konkretere Aufgabe einer Verbesserung der Stabilität gegen Epimerisierung in der ursprünglich eingereichten Anmeldung nicht genannt war, war irrelevant, weil eine solche Verbesserung der Stabilität durch Verhinderung der Epimerisierung und damit eine verbesserte biologische Aktivität für einen Fachmann eindeutig als wünschenswerte Wirkung bei einem tetrazyklischen Antibiotikum aus der Anmeldung in der urspünglich eingereichten Fassung erkennbar war (s. auch T 39/93, ABl. 1997, 134).
Im Verfahren T 564/89 machte der Beschwerdeführer (Einsprechende) geltend, dass jede Änderung der technischen Aufgabe in Einklang mit Art. 123 (2) EPÜ 1973 stehen müsse. Die Kammer entschied, dass dieser Artikel nichts mit der Frage zu tun habe, ob im Rahmen des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes mit einer objektiv neu formulierten technischen Aufgabe gearbeitet werden dürfe. Art. 123 (2) EPÜ 1973 könne nur zum Tragen kommen, wenn eine geänderte technische Aufgabe in die Beschreibung selbst aufgenommen werde. S. auch T 284/98, T 276/06.
- T 1001/18
Catchword:
Since the problem and solution approach defines the problem based on the effect of the differences from the closest prior art, and the effect is derived primarily from the disclosure of the invention, the effect documented in the present documents alone is taken as the basis for the problem formulation. The Board concluded that any further, undocumented effects would be speculative and should not be additionally included in the problem formulation (reasons 5.3.2)
- Sammlung 2023 “Abstracts of decisions”